Einsamkeit, soziale Exklusion und das Alter fördern depressive Erkrankungen.
Schaan: Marc Risch wollte eigentlich in die Kinder- und Jugendheilkunde, entschied sich dann aber für die Psychiatrie und spezialisierte sich dort auf die Behandlung von Depressionen. Sein Ansatz ist, den depressiven Menschen innewohnenden Tiefsinn, den er selbst als Schatz bezeichnet, für die Therapie zu nutzen.
Die WHO zeichnet ein düsteres Bild bezüglich der Entwicklung von Depressionen. Worauf müssen wir uns gefasst machen?
Risch: Die Weltgesundheitsorganisation rechnet damit, dass im Jahr 2030 die affektiven Störungen, zu denen vor allem Depression und somit auch schwere Stressfolgeerkrankungen zählen, die häufigsten Krankheiten darstellen werden. Jeder Fünfte hat ein hohes Risiko, einmal im Leben eine behandlungsbedürftige, schwere Depression zu erleiden. Anders formuliert: Weltweit sind aktuell mehr als 300 Millionen Menschen von einer Depression betroffen, Tendenz leider stark steigend.
Was sind die Ursachen?
Da gibt es mehrere Gründe, nicht nur das zunehmende Lebensalter, welches das Risiko für Erkrankungen aller Art, auch psychischer Erkrankungen, steigen lässt. Der weltweite Anstieg psychischer Erkrankungen und vor allem der Depression hängt in erster Linie mit einer allgemeinen Verstädterung und Landflucht zusammen. Damit gehen auch gewisse Arbeitsmöglichkeiten im gewohnten familiär-sozialen Kontext verloren. Vereinsamung und soziale Exklusion sind also Treiber. Ein weiterer gewichtiger Faktor, der sich auf das Seelenleben von uns Menschen auswirkt, ist die immer schwieriger werdende Beantwortung der Frage nach einem sinnhaften Tun.
Wie lange dauert es bis zur richtigen Diagnose?
Wir sehen, dass es oft zu lange dauert, bis die Diagnose gestellt ist und Therapien etabliert sind. Das liegt einerseits an der nach wie vor großen Scham der Betroffenen, weil eine Depression als emotionale Schwachheit fehlinterpretiert wird, andererseits in den verschiedenen Verlaufsformen der Depression begründet, zuweilen auch an fehlenden Diagnose- und Behandlungskompetenzen und Kapazitäten. Allein in Deutschland fehlen 3000 ambulante Behandlungsplätze für Menschen mit psychischen Erkrankungen. Das ist alarmierend.
In vielen Bereichen gehört die personalisierte Medizin zum Standard. Gilt das für die Behandlung von Depressionen auch?
Hier ist noch viel Luft nach oben. Leider ist es nach wie vor so, dass das Fachgebiet der Psychiatrie ein sehr breites Diagnosespektrum abzudecken hat: Depression, psychotische Erkrankungen, Persönlichkeitsstörungen oder Suchterkrankungen, um nur einige zu nennen. Da stellt es eine große Herausforderung dar, sich auf ein Gebiet zu spezialisieren, besonders im stationären Behandlungsalltag und in der Grundversorgung. Nach wie vor erhalten Betroffene Standardtherapien, die nicht konsequent individualisiert und auf die bereits gemachten Behandlungserfahrungen abgestimmt sind. Damit verpassen wir Heilungschancen. In der Körpermedizin gibt es diesen Trend zur Spezialisierung schon lange. Kein Patient würde sich heutzutage von einem Allgemeinmediziner das Knie operieren lassen. Jeder weiß, wer gut sein will, muss sich fokussieren. In der Psychiatrie darf und muss sich diese Spezialisierung noch weiter akzentuieren.
Was war Ihr Beweggrund, sich auf die Behandlung von Depressionen zu spezialisieren und dafür auch noch eine Klinik neu zu bauen? Das bedeutet ja doch ein großes unternehmerisches Risiko.
Man kann im Kontext der Behandlung psychisch Erkrankter nicht überall gleich gut sein, deshalb spezialisieren wir uns auf die Depression. Hier wollen wir zu den Besten gehören. Zudem hat die Krankheit auch positive Seiten: Depressive Menschen sind tiefsinnig, hinterfragen viel, denken viel nach. Uns geht es darum, diesen Tiefsinn als Wert und Basis für die Genesung anzuerkennen und damit zu arbeiten. Menschen ein Stückweit auf ihrem vorübergehend sehr steinig gewordenen Lebensweg auf Augenhöhe zu begleiten und konsequent Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten, ist eine Hauptmotivation für uns.
Was genau ist eine Depression?
Gemäß der internationalen Richtlinien wird eine depressive Episode wie folgt umschrieben: Betroffene leiden an einer ungewöhnlichen, depressiven und anhaltend reduzierten Stimmung. Interessensverlust an Alltäglichem, verminderter Antrieb und gesteigerte Ermüdbarkeit gehören ebenso dazu. Des Weiteren sind Symptome wie Verlust des Selbstvertrauens oder des Selbstwertgefühls, Selbstvorwürfe oder ausgeprägte Schuldgefühle, Konzentrationsverlust, Unentschlossenheit, Rastlosigkeit und auch sogenannte vegetative Begleiterscheinungen und eine oft zu spät erkannte Schlafstörung ungünstige Begleitfaktoren.
Sie wollen zum Europäischen Tag der Depression am 1. Oktober auch ein sichtbares Zeichen setzen. Worum handelt es sich dabei?
Die Gemeinde Vaduz ist dabei, den Aussichtsturm auf Gaflei, der in 1500 Metern Seehöhe liegt und einen wunderbaren Blick bis hinunter zum Bodensee ermöglicht, instand zu setzen. Dabei ergibt sich die Möglichkeit, die monolithisch anmutende Struktur von innen zu beleuchten und damit in sichtbarer Art und Weise ein stilles und kraftvolles Zeichen der Solidarität für Menschen mit psychischen Erkrankungen zu setzen. Wir freuen uns, dass auch Ihre Hoheit Erbprinzessin Sophie ihre Teilnahme zugesagt hat. Da Depressionen unabhängig von Wochentagen und Jahreszeiten und zuweilen sehr plötzlich eintreten, haben wir die Aktion kurzfristig organisiert. Sie findet am Sonntagabend statt.
Im Bild: Marc Risch setzt beim Thema Depression Zeichen.
Foto: Beham
Interview mit Psychiater Marc Risch (43) zum Europäischen Tag der Depression
am 1. Oktober 2018 als PDF
(von Vorarlberger Nachrichten)
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