Michael Holzapfel Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, Facharzt für Psycho somatik (D) und Co-Chefarzt des Clinicum Alpinum

BC 007 lässt Long-Covid- Patienten hoffen – berechtigt?

Der Nachrichtensender «ntv» vermeldete kürzlich, dass es Ärzten der Augenklinik des Uniklinikums Erlangen gelang, mit dem Wirkstoff BC 007 ein wirksames Medikament zur Heilung der Symptome von Long Covid zu finden. Zwar handelt es sich bei der Mitteilung um eine Einzelfallbeschreibung, dennoch wächst dadurch Hoffnung, SarsCov2 besser zu verstehen.

Herr Michael Holzapfel, gibt es tatsächlich bereits ein Medikament, welches zur Symptombekämpfung eingesetzt werden kann?
Michael Holzapfel: Die Frage und auch der benannte Bericht von «ntv» impliziert, dass «Long Covid» ein homogenes Erkrankungsbild darstellt. Das ist – Stand heute – unzutreffend.
Was meinen Sie damit?
Je nach Alter, Vorerkrankungen und «Resilienz» leiden die Patientinnen und Patienten unterschiedlich stark, unterschiedlich schwankend, und zuweilen sehen wir trotz positiver Verläufe über Wochen bei Betroffenen auch plötzliche Rückfälle, die mit grösster Verunsicherung für die Betroffenen einhergehen.

Welche ähnlichen Symptome geben sich bei den Patienten zu erkennen?
Bei vielen Betroffenen kommen Symptomcluster wie neurokognitive – Betroffene sprechen beispielsweise von «Brain-Fog» aber auch ausgeprägte Hörsensibilität – Beschwerden gehäuft vor. Patienten leiden zudem oftmals an Belastungsintoleranzen womit schwerwiegende, stark tagesabhängige Bewegungs- und Leistungseinschränkungen gemeint sind, aber auch tiefmuskuläre Schmerzen bis hin zu plötzlich auftretenden Schlafstörungen, schwerwiegende Tagesmüdigkeit und vielem mehr.

Wie beginnt die Erkrankung von Long Covid, auch Post Covid genannt?
Long-Covid-Verläufe beginnen meist nach einer Art «freiem Symptomintervall», Wochen bis Monate nach einer nicht zwingend schwer verlaufenden Infektion mit SarsCov2.
Im Interview vom 27. Mai 2021 in Radio L erklärten Sie, dass es sich bei Long Covid um eine immer wiederkehrende Entzündung handelt. Hat sich diese Annahme bestätigt?
Es ist zutreffend, dass sich die Hinweise von pathophysiologischer Seite her dahingehend verdichten, dass die Langzeitauswirkungen einer Covid-Infektion sich auf Gewebeebene als «Gefässentzündung» mit Einfluss auf die Blutflusseigenschaften und Beeinträchtigung der Funktion der roten Blutkörperchen und damit auf die Sauerstoffversorgung der verschiedenen Organe auswirken. Covid ist also weit mehr als eine akut die Lunge betreffende Erkrankung.

… was bedeuten diese Erkenntnisse nun für die Behandlung mit Medikamenten?
Wir lernen täglich dazu, indem wir die verschiedenen Forschungserkenntnisse und Erfahrungen von Behan deln den und Betroffenen integrieren. Die experimentellen, medikamentösen Behandlungsversuche gehen in die Richtung, den betroffenen Patienten zu unterstützen, dass sich die Entzündungssituation der Mikro-Entzündungen des Körpers und vor diesem Hintergrund die «Stoffwechsellage» verbessert. Medizinisch spricht man von einem sogenannten Off-Label-Use.
Dabei sind Arzneimittelnebenwirkungen und Unverträglichkeiten besonders gut zu berücksichtigen, und bei aller Hoffnung ist auch Zurückhaltung angezeigt. Auch ist es wichtig, einem durch die ausgeprägte Leistungseinschränkung resultierenden Muskel abbau sowie den möglichen emotionalen Beeinträchtigungen entgegenzuwirken.


Gibt der Wirkstoff BC 007 Hoffnung auf gezielte und schnellere Heilung?

Wir veranstalten dazu aktuell am 30. September wiederholt einen Qualitätszirkel, der sich mit der Frage be fasst. Es handelt sich bei der von Ihnen benannten Mitteilung um Einzelfallbeschreibungen, die durchaus Hoffnung machen dürfen. Gleichzeitig werden wir uns auch daran erinnern müssen, dass sogenannte postvirale Syndrome nichts Neues darstellen und auch schwere, früher gesehene langwierige (Lungen)-Erkrankungen (Ich erinnere an die Zeit der Tuberkulose etc.) nicht allein medikamentös geheilt werden konnten. Dies bei aller berechtigter Hoffnung, dass wir in den nächsten Monaten die psycho-neuro-immunologischen Prozesse im Gefolge einer Infektion mit SarsCov2 besser verstehen und wir auch individualisiert auf die Einzelfälle optimierte Wirkstoffe identifizieren. Heilung braucht Zeit..

Ihre Meinung zur Impfthematik?
Nach wie vor muss es im Interesse von uns allen sein und als oberstes Ziel gelten, Infektionen zu verhindern und die Durchimpfung der Bevölkerung – weltweit – voranzutreiben. Durchseuchung kann und darf kein Ziel sein. Niemand kann ernsthaft einen Long-Covid-Verlauf in Kauf nehmen – weder für sich noch für seine Kinder.
Das Durchschnittsalter der Patienten liegt bei 30 bis 45 Jahren, schockiert Sie diese Erkenntnis?
Wir sehen in unserer Klinik, in enger Abstimmung mit Internistinnen und Psychiatern, die uns Patienten sowohl ambulant als auch direkt aus dem Spital zuweisen, dramatische Situationen. Besonders tragisch ist es, wenn z. B. junge Mütter durch Long Covid die Kinderbetreuung nicht mehr schaffen, weil ihnen die Kraft fehlt. Ebenso erschütternd ist es, wenn wir «Health Professionals» (Pflegefachpersonen, Ärzte etc.), die sich im Rahmen ihrer Arbeit mit SarsCov2 angesteckt haben, in Behandlung nehmen müssen. Covid ist schon lange keine Erkrankung des alten Menschen mehr.

 

«Nach wie vor muss es im Interesse von uns allen sein und als oberstes Ziel gelten, Infektionen zu verhindern und die Durchimpfung der Bevölkerung – weltweit – voranzutreiben.»

 

Post-Covid-Patienten werden im Clinicum Alpinum, welches auf Depressionen spezialisiert ist, behandelt. Wo ist der Zusammenhang?
Das individuell zu sehende Beschwerdebild ist – wenn es nicht so tragisch wäre – als «bunt» zu beschreiben. Die Symptomschwere ist hoch und die psychische Belastung für Betroffene und deren oft hilflose Angehörige aufgrund der Erkrankungsdauer und «zermürbend-schwankender Symptomschwankungen» beeindruckend.

Welche positiven Erfahrungen konnten im Clinicum gemacht werden bzw. was tut den Patienten gut und wieweit trägt die besondere Lage des Clinicums zur Genesung der Long-Covid-Patienten bei?
Es ist tatsächlich so, dass die reizarme, alpine, naturnahe Umgebung und die optimale Höhenlage Gafleis wesentlichen krankheitsbedingten Bedürf nissen von Long-Covid-Patientinnen und -Patienten sehr entgegen kommt. Vor allem aber sind es die sehr erfahrenen Kolleginnen und Kollegen im Clinicum Alpinum aus dem Bereich der Fachpflege, Pharmazie, der Ärztinnen und Ärzte und der Fachtherapeuten und eine schnelle Anpassung auf die – wie erwähnt stark tagesabhängigen – Symptomschwankungen der Betroffenen, die zur Genesung beitragen.

Wie viele Long-Covid-Patienten wurden bisher im Clinicum behandelt?
Stand heute überblicken wir Long-Covid-Erkrankungs- und Behandlungsverläufe von über 50 Patientinnen und Patienten aus der Region und dem auch weit entfernten deutschsprachigen Ausland. Wichtig ist aber, dass wir gesamtgesellschaftlich vor grössten Herausforderungen stehen, da Long-Covid-Verläufe sehr häufig und lang andauernd sind, was neben den the rapeutischen Institutionen vor allem auch unsere Sozialwerke, Krankenkassen etc. in einer noch nicht zu ermessenden Dimension beschäftigen wird. Davor dürfen wir nicht die Augen verschliessen.

Die vorhandenen Behandlungs kapazitäten sind aktuell noch sehr beschränkt. Weshalb?
Weil sich die Medizin nach wie vor sehr stark auf Verhinderung der Akutverläufe fokussieren muss. Unsere intensive Long-Covid-Behandlung konn ten wir aufgrund grösster Anstrengungen und Flexibilität unseres Teams auf Gaflei sehr früh am Jahreswechsel 2020/2021 etablieren und erste Betroffene mit schwerwiegenden Symptomen aufnehmen. Die Behandlungspfade werden in enger Abstimmung mit zunehmend durch Studienergebnisse unterlegten Behandlungsguidelines weiterentwickelt.

Kann das Behandlungsangebot im Clinicum Alpinum erhöht werden?
Die Long-Covid-Behandlung in Gaflei ist als eine sogenannte integrierte-fraktionierte Intervallbehandlung angelegt. Nach nunmehr neun Monaten Behandlungserfahrung und intensivem Austausch mit Ärzten aus anderen Fachgebieten, Therapeuten und v. a. Betroffenen werden wir, vorbehaltlich der Zustimmung der lokalen Gesundheitsbehörde, unser Behandlungsangebot auf laufend zehn stationäre Therapieplätze erhöhen.

 

Michael Holzapfel
Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, Facharzt für Psychosomatik (D) und Co-Chefarzt des Clinicum Alpinum

Nicole Öhri, Vaterland, 20.09.2021
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Falls Sie ihn versäumt haben, hier finden Sie den Online Vortrag 4.Qualitätszirkel Gaflei 

 

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