Depression als Chance anstatt Karriereende

«Wer psychisch erkrankt, fällt lange aus und kostet das Unternehmen nur» – Dieses Stigma hält sich immer noch hartnäckig in der Arbeitswelt. Doch Tatsache ist, dass mehr als zwei Drittel der Menschen, die eine schwere Depression überstanden haben, weisen eine enorme emotionale Lernkurve auf und können ihre Leistungsfähigkeit zu 100 Prozent wieder abrufen. Es ist also Zeit für einen anderen Umgang mit den Betroffenen – insbesondere auch im beruflichen Kontext.

Angst und Schamgefühl

Aus Angst und Scham schweigen viele Mitarbeitende über ihre depressive Erkrankung. «Niemals hätte ich den Job bekommen, wenn mein Vorgesetzter von meiner Depression gewusst hätte», äussern sich Betroffene. Die Bedenken, mit einer psychischen Erkrankung als nicht leistungsfähig und belastbar eingestuft zu werden ist nicht unbegründet. Denn in der Unternehmenswelt herrschen immer noch stereotype Vorstellungen über die «Volkskrankheit» Depression. Dies bestätigen Betroffene, wenn sie von ihrer Rückkehr in den Job berichten. Von ihren Kollegen aber auch von ihren Vorgesetzten werden sie als nicht leistungsfähig und als «Weichei» wahrgenommen. Im schlimmsten Fall begegnen ihnen – als Witz getarnte – Sprüche wie «Mir wird auch mal alles zu viel, deswegen lasse ich mich aber nicht gleich krankschreiben». Solche Vorurteile gründen meist auf Unwissenheit über das Krankheitsbild und den Behandlungs-verlauf. Der Blick auf den Menschen hinter der Krankheit wird verstellt. Eine ungünstige Tatsache, denn durch ihre Erkrankung entwickeln diese Personen Fähigkeiten, die auch im Unternehmen gefragt sind.

Durchhaltevermögen und Loyalität

Still und für sich ertragen depressive Menschen ihre Symptome oft wochen- bzw. monatelang. Dies zeugt von einem ungeheuren Durchhaltevermögen. Obwohl Betroffene sich meist leer, kraftlos, erschöpft und antriebslos fühlen, versuchen sich zu Beginn der Erkrankung diese Erschöpfung erfolglos mit allen möglichen Mitteln zu bekämpfen, um am Schluss noch erschöpfter zu sein.

Erfahrungen in der Praxis zeigen, dass depressive Menschen trotz ihres hohen Energieaufwandes relativ lange am Arbeitsplatz performen können. Von aussen ist nichts von ihrer inneren Schwäche sicht- oder spürbar. Zudem sind sie geprägt, von einer besonderen Loyalität gegenüber ihren Kollegen und Vorgesetzten: sie wollen niemanden belasten.

Erfolgreiche Rückkehr ist für beide Seiten wichtig

Fällt ein Arbeitnehmer aufgrund einer depressiven Erkrankung aus, bedeutet dies für das Unternehmen einen hohen finanziellen und personellen Mehraufwand. Doch von einer erfolgreichen Rückkehr der betroffenen Mitarbeitenden an den Arbeitsplatz profitieren sowohl die Firma als auch die Betroffenen.
«Arbeit hat eine stabilisierende, gar antidepressive Komponente. Denn wenn eine Arbeit Spass macht, interessant ist, nicht überfordert und mit Anerkennung sowie Wertschätzung verbunden ist, stärkt sie das Selbstwertgefühl und den Genesungsverlauf», so Dr. med. Marc Risch, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie.
Doch ein langsames Wiedereingliederungsmanagement darf nicht die einzige Lösung im Unternehmen sind. Entscheiden ist, dass sich Mitarbeiter bei ihrer Rückkehr willkommen fühlen. Studien bestätigen, dass das Erkrankungs- und Rückfallrisiko deutlich sinkt, wenn Vorgesetzte ihre Mitarbeitenden unterstützen, ihnen dauerhaft Anerkennung, Zugehörigkeit und Sicherheit vermitteln, ansprechbar sind und Rücksicht auf die individuellen Bedürfnisse bei der Arbeits- und Ferienplanung nehmen.

Im Gegenzug profitiert das Unternehmen von den neu erlernten Kompetenzen der betroffenen Mitarbeiter. Eigenverantwortung, Durchhaltevermögen, Geduld und das Wissen um die eigenen Stärken und Schwächen sind Fähigkeiten, sind auch für den Betrieb wertvolle Fähigkeiten.

Zum Autor
Dr. med. Marc Risch, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Er studierte Humanmedizin in Zürich und Innsbruck und schloss sein Studium in Innsbruck mit einem Doktorat ab. In den weiteren Jahren absolvierte er vertiefende Ausbildungen unter anderen in den Bereichen Krisenintervention, wo er zusammen mit seiner Frau als Ausbildner für das Rote Kreuz tätig war. Seit 2012 führt der Psychiater seine eigene Praxis in Schaan und arbeitet als Chefarzt im Clinicum Alpinum.

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