Mit der schrittweisen Lockerung erfährt unser Alltag eine neue Routine. Doch für die meisten geht der Homeoffice Marathon weiter. Hilfreiche Tipps, wie die Tagesstruktur aufrechterhalten werden kann, finden sich viele, aber was, wenn einen das überfordert? Wenn es nicht nur um wenige Tage, sondern gleich um Wochen oder Monate geht, in denen kein Tagesablauf vorgegeben ist, ist es eine große Aufgabe, einen Rhythmus zu finden und aufrechtzuerhalten. Einige Gedanken dazu, warum Sie nicht zu viel von sich verlangen sollten, was Sie dennoch tun können und wo Sie im Notfall Hilfe bekommen.
Warum es hilft den Tag zu planen
Die Corona-Krise bringt wie auch andere Krisen die gewohnte Tagesstruktur aus dem Takt, sei es, weil Sie nun von zuhause arbeiten, weil Sie zusätzlich auch Ihre Kinder zuhause betreuen müssen oder weil Sie nun allein in Ihrer Wohnung sind. Auch wenn es auf den ersten Blick verlockend erscheinen mag, sich jeden Tag auszuschlafen, die notwendigen Arbeiten aufzuschieben und es lockerer anzugehen, empfehlen Psychologen, dennoch eine Tagesstruktur einzuhalten. So haben einige psychologische Verbände ein Informationsdossier herausgegeben, wie wir diese Zeit gut überstehen können. Darin wird auch darauf eingegangen, dass der Medienkonsum begrenzt werden sollte und aufgeschobene Projekte begonnen werden können. Dass diese Verbände von PsychologInnen ein so ausführliches mehrseitiges Informationsblatt herausgibt, deutet schon darauf hin, dass es nicht für jeden so einfach sein wird, gewohnte Abläufe zu ersetzen und einen neuen Alltag zu schaffen. Sensiblere Personen können durch diesen neuen Stress auch Schlafstörungen entwickeln, für an Depression Erkrankte kann das Überwinden des Morgentiefs eine noch größere Herausforderung werden.
Besonders zwei Herausforderungen treffen in diesen Tagen viele Menschen – Homeoffice und Kinderbetreuung zuhause.
Arbeit und Freizeit im selben Raum – von zuhause aus arbeiten
Wenn Sie bisher nicht oder wenig von zuhause aus gearbeitet haben, bedeutet der Wechsel ins Homeoffice, dass Sie hier neue Strukturen schaffen und sich eine neue Zeitplanung zurechtlegen müssen. Besonders schwierig ist hier für die meisten, dass nun „multifunktionale Räume“ entstehen, Sie also im selben Raum essen, ihre Freizeit verbringen, arbeiten und unter Umständen auch noch schlafen müssen. Da ist es für viele besonders schwer, von einer Rolle in die andere zu schlüpfen. Empfohlen wird hier, bestimmte Bereiche umzugestalten und ihnen fixe Funktionen zuzuweisen, z.B. einen Teil des Esstisches für die Arbeit freizuhalten oder bewusst nicht auf der Couch zu lernen, sondern nur am Schreibtisch.
Wenn es möglich ist, kann es sehr hilfreich sein, mit dem Arbeitgeber den Tagesablauf als lockeren Wechsel zwischen Arbeit und Entspannung zu vereinbaren. Denn auch im Büro werden Sie nicht acht Stunden durcharbeiten, sondern zwischendurch Pausen machen oder etwa von Kollegen unterbrochen werden, auch wenn Ihnen das nicht immer bewusst auffällt.
Lassen Sie sich für diesen Wechsel ins Homeoffice Zeit und erwarten Sie von sich nicht, dass Sie von zuhause aus sofort ebenso produktiv sind wie im Büro. Die Arbeitsumgebung und die gewohnten Abläufe spielen eine große Rolle in der Produktivität, daher ist es verständlich, dass der Umstieg nicht von einem Tag auf den anderen gelingen kann.
Kinder und die Krise – den Tag planen mit Kindern zuhause
Viele stehen vor der zusätzlichen Herausforderung, dass sie nicht nur von zuhause aus arbeiten, sondern zugleich auch Kinder zuhause betreuen müssen. Das Spektrum reicht dabei von Kleinkindern, die nun rund um die Uhr mit Spielen beschäftigt werden wollen, bis zu Teenagern, von denen nun vonseiten der Schule erwartet wird, dass sie auch zuhause nun auf einmal selbstständig ein großes Arbeitspensum erledigen. Diese Vermischung von Alltag und Ferienzeit führt zu Unruhe, zugleich fehlen in vielen Wohnungen Rückzugsorte oder werden weniger, weil Raum zum Lernen und Arbeiten gebraucht wird.
Gerade auch im Zusammenleben mit Kindern während der Krise muss es darum gehen, die Ansprüche herunterzufahren und Prioritäten zu setzen. Ausgleich und Freizeitphasen sollten eingeplant und von den Arbeitszeiten der Eltern bzw. den Schulaufgaben-Zeiten der Kinder und Jugendlichen klar abgegrenzt werden. Auch hier ist wichtig, in die Situation hineinzuwachsen und nicht sofort zu erwarten, dass alles klappt – wer nicht gewohnt ist, so viel zuhause zu sein, dass die Eltern im Homeoffice arbeiten, dass man die Freunde nicht besuchen kann, etc. für den kann es Tage und Wochen brauchen, bis das zu einer gefühlten Normalität wird!
Für Eltern gilt dabei auch: Wenn die Kinder alt genug sind, um es zu verstehen, sollten Eltern ihre Überforderung mit der Situation nicht verbergen, sondern offen mit ihren Kindern besprechen, um ihnen auch klarzumachen, warum Auszeiten wichtig sind.
Was tun bei Überforderung?
Wenn Sie sich von diesen Herausforderungen überfordert fühlen und den Eindruck bekommen, dass sich keine geordneten Strukturen entwickeln lassen, sollten Sie nicht zögern, sich Hilfe von außen zu holen. Ein erster Schritt kann sein, mit Freunden und Familie darüber zu sprechen, dass die Tagesplanung schwerfällt. Möglicherweise erfahren Sie so, was anderen ebenso schwerfällt oder bekommen Tipps, um mit den Erwartungen und Aufgaben besser fertig zu werden. Freunde, Familie und Kollegen können auch bei der Strukturierung helfen, etwa indem man vereinbart, immer zur gleichen Zeit zu telefonieren oder ausmacht, bis zu einem bestimmten Zeitpunkt etwas abzuschicken oder zu besprechen. Dadurch entstehen automatisch Orientierungspunkte im Tag.
Sollten Sie dennoch nicht mehr weiter wissen, gibt es auch in der Krise zahlreiche Stellen, an die Sie sich wenden können, etwa psychosoziale Notdienste oder Ambulanzen
Zum Autor
Dr. med. Marc Risch, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Er studierte Humanmedizin in Zürich und Innsbruck und schloss sein Studium in Innsbruck mit einem Doktorat ab. In den weiteren Jahren absolvierte er vertiefende Ausbildungen unter anderen in den Bereichen Krisenintervention, wo er zusammen mit seiner Frau als Ausbildner für das Rote Kreuz tätig war. Seit 2012 führt der Psychiater seine eigene Praxis in Schaan und arbeitet als Chefarzt im Clinicum Alpinum.
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