„Ich möchte lieber tot sein als Leben“

Lebensmüdigkeit ist ein vielschichtiges Phänomen mit unterschiedlichsten Ursachen und Ausprägungen. Es geht weit über das Thema «Suizid» hinaus.

«Lebensmüde Gedanken» sind normal

Lebensmüde Gedanken zu haben ist als endliche Wesen ein normales Phänomen. Suizidgedanken sind dennoch ernst zu nehmen, da sich Betroffene häufig dafür «Schämen» und nicht Wissen an wen sie sich wenden sollen. In der Schweiz leben über eine halbe Million Menschen die aktuell Suizidgedanken haben, über 200 000 haben in ihrem Leben mindestens einmal versucht sich das Leben zu nehmen, davon rund 33 000 in den letzten 12 Monaten[1].

Wichtig dabei: Der Prozess vom Suizidgedanken, über Suizidimpulse bis hin zu komplex-vorbereitenden Suizidhandlungen ist ein weiter und selten ein linear-unumkehrbarer.

 

VORSICHT: Gefährliches Halbwissen

Suizidalität umfasst alle Gedanken, Impulse und Handlungen, die darauf „abzielen“ das eigene Leben frühzeitig zu beenden und den „natürlichen Prozess“ des Lebens und Ablebens durch aktives Handeln „abzukürzen“. Unter suizidalem Verhalten sind somit Suizidankündigungen (direkte oder indirekte Suizidhinweise, Suiziddrohungen) und Suizidversuche zu verstehen[2].

Als sehr gefährliches Halbwissen gilt die weit verbreitete Meinung einer uninformierten Öffentlichkeit, dass Menschen, die von oder über Suizid sprechen nicht den Mut oder Kraft aufbringen, dies umzusetzen.

 

 

Risikofaktoren für Suizidalität

Suizidale Gedanken und Verhaltensweisen treten gehäuft bei Personen mit einer psychischen Erkrankung bzw. Vorbelastung in Erscheinung, können jedoch durch eine Vielzahl von weiteren biologischen, persönlichen, sozialen, sozioökonomischen, geschlechts-, alters und umgebungsbedingten Faktoren beeinflusst werden

 

Als Hauptrisikofaktoren für Suizidalität gelten:

– Bereits stattgehabter Suizidversuche in der Eigen- und/oder Familienanamnese

– Psychisches Krank-Sein

– Schädlicher Konsum von Alkohol oder anderen psychotrop-wirksamen Substanzen (Drogen), sowie stoffungebundene Süchte (e.g. Störung der Impulskontrolle)

– Anhaltende und/oder außergewöhnlich belastende Erlebnisse (Arbeitsplatzverlust, finanzielle Probleme, Beziehungskonflikte, etc.).

– Hoffnungslosigkeit

– Chronische Schmerzerkrankungen, andere schwere somatische Erkrankungen

– VEREINSAMUNG bzw. Soziale Exklusion

– Einfacher Zugang zu selbstschädigenden Mitteln / Methoden

 

Möglichkeiten das Suizid-Risiko zu reduzieren

Während viele Maßnahmen bei der Suizidprävention die Reduzierung der Risikofaktoren zum Ziel haben, ist es gleichermaßen wichtig, Faktoren zu berücksichtigen, die nachweislich Resilienz, Zugehörigkeit und Teilhabe erhöhen um so vor suizidalem Verhalten schützen.

Hierzu zählen:

– Pflege und Aufbau gesunder, enger zwischenmenschlicher Beziehungen (Förderung niederschwellig zugänglicher sozialer Begegnungsräume), sowie

– Niederschwelliger Zugang zu Gesundheitsvorsorge und Unterstützung

– Umgang mit „Unlust“, Resilienz & Problemlösefähigkeiten (z.B. die Fähigkeit geeignete Hilfe aufzusuchen, wenn dies erforderlich ist)

– Emotionale Stabilität, stabiles Selbstwertgefühl und Reduktion von passiv-aggressivem, gegen das eigene Ich gerichtete Aggression

– Förderung einer positiven Selbstwirksamkeitserwartung und eine optimistische Zukunftseinstellung (Achtsamkeit, radikale Akzeptanz, positive Psychologie, „biology of happyness“)

Was kann man bei Suizidgedanken tun? Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?

Bei sich aufdrängenden Suizidgedanken wenden Sie sich an Ihren Hausarzt, an die naheliegendste Notfall-Telefonnummer oder eine psychiatrische Einrichtung.

In der Region Liechtenstein / Ostschweiz sind dies

– Tel: 144

– Die dargebotene Hand: www.ostschweiz.143.ch

– Kriseninterventionsteam: kit.li

– Kliniken St. Pirminsberg, Pfäfers (https://www.psychiatrie-sg.ch/), Waldhaus, Chur (pdgr.ch), LKH Valduna, Rankweil

 

Was können Angehörige und Freunde tun?

Jede und jeder kann dazu beitragen, sei es als Familienmitglied, Freundin, Arbeitskollege, Sozialarbeiterin oder Gesundheitsfachperson Menschen in psychischer Not aktiv beizustehen. Zum Beispiel indem wir bei Verhaltensänderung einer nahestehenden Person nicht wegsehen, sondern Befinden und Belastungen aktiv erfragen und Suizidgedanken offen ansprechen. Dies ist deshalb wichtig, da aufgrund der verbreiteten Stigmatisierung von psychischem Kranksein (Häufigkeits-Scham-Paradoxon) und Suiziden viele Betroffene nicht Wissen an wen sie sich wenden könnten.

Offen über «Lebensmüde Gedanken» zu sprechen, ermutigt nicht zu suizidalem Verhalten. Im Gegenteil. Da den meisten Suiziden Warnsignale vorausgehen, verbal oder durch entsprechendes Verhalten, ist es wichtig diese Warnsignale nicht zu ignorieren, sondern zu reagieren, die eigene Wahrnehmung zu adressieren und Hilfen «anzudienen».[3]

 

[1] OBSAN BULLETIN 7/2019

[2] Gesundheit.gv.at – Suizid: Was ist das

[3] Preventing Suicide: A global imperative © Weltgesundheitsorganisation (2014)

 

Ein Artikel von

Dr. med. Marc Risch

Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH

Chefarzt Clinicum Alpinum

 

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