Mythos Frühjahrsmüdigkeit

In Anbetracht aufkommender frühlingshafter Gefühle wird verstärkt auch auf die Frühjahrsmüdigkeit hingewiesen. Es werden Lichttheorien, Vitamin-D-Insuffizienzen und vieles andere mehr bemüht, um einen mehr oder weniger schlüssigen Konnex zwischen Müdigkeit und Jahreszeit zu konstruieren. Dabei übersehen wir, dass wir aus chronobiologischer Optik seit der Erfindung und des flächendeckenden Einsatzes von Kunstlicht nicht nur im Tages- sondern auch im Jahreszeitenverlauf von natürlicher Aktivität und Erholungsnotwendigkeit mehr und mehr entkoppelt werden.

Das bedeutet, dass wir oft gegen unsere verinnerlichten Programme (Anm.: gewisse Tiere machen einen Winterschlaf) bezüglich Aktivität im Frühjahr-Sommer versus Herbst für Rückzug, Ruhe und Regeneration in den lichtschwächeren Monaten ankämpfen. Aus bio-psychologischer Perspektive ein sinnloses Unterfangen oder bestenfalls eine Erklärung für das Gefühl sich andauernd wiederholender Müdigkeit. An was es uns zunehmend mangelt und zwar im Jahresverlauf und unabhängig der Jahreszeiten, ist Erholungskompetenz. Ein sinnvoller Wechsel zwischen aktiver Erholung und beflügelnden Herausforderungen ist nicht nur im Frühjahr wichtig, sondern zu jeder Zeit.

Betrachten wir es deshalb ganzheitlicher: Wenn es die Frühjahrsmüdigkeit geben würde, müssten man Sie eher «Inaktivitätsjahresmüdigkeitindenfolgemonatendeswinters» nennen und diese kollidiert möglicherweise mit der sogenannten Herbstdepression – die es im Übrigen auch nicht gibt. Einen alle Sinne ansprechenden Frühling, Sommer, Herbst und Winter wünscht

Marc Risch

Text: Dr. med. Marc Risch
Facharzt FMH für Psychiatrie und Psychotherapie, Clinicum Alpinum AG

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