Narzissmus und Depression – wie hängen sie zusammen?

Narzissmus ist wie Depression eine Zuschreibung, die vielen allzu leicht von der Zunge geht: Schnell wird jemand im Alltag als „narzisstisch“ bezeichnet, ohne dass man sich bewusst macht, dass der Begriff auch für eine ernsthafte psychiatrische Erkrankung steht, von der bis zu einem Prozent der Bevölkerung betroffen ist. Wie eine narzisstische Persönlichkeitsstörung aussieht, diagnostiziert und behandelt wird und warum die Erkrankung auch häufig zu einer narzisstischen Depression führt, erklären wir hier.

„Narzissmus“ als Alltagsbegriff ist von der narzisstische Persönlichkeitsstörung zu unterscheiden

Narzissmus als Eigenschaft wird jemandem, der auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist, sich für etwas Besseres hält und/oder auf andere keine Rücksicht nimmt, schnell zugeschrieben. Aus medizinischer Sicht muss aber zwischen dieser alltagssprachlichen Zuschreibung und einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung unterschieden werden. In der Fachsprache wird ersteres als subklinischer Narzissmus bezeichnet, zweiteres als pathologischer.
Eine narzisstische Persönlichkeitsstörung ist nach dem psychiatrischen Handbuch DSM-5 klar zu diagnostizieren – dafür gibt es eine Reihe von möglichen Kriterien, dazu gehören u.a.

– Grandioses Gefühl der eigenen Wichtigkeit
– Verlangen nach Bewunderung
– Selbstidealisierung und Fantasien von Erfolg, Macht, Glanz oder Schönheit
– Die Person geht davon aus, dass sie eine außergewöhnliche Behandlung verdient
– Die Person geht davon aus, dass nur außergewöhnliche Institutionen und Personen sie verstehen können

Gerade in Bezug auf die Diagnostizierung hat sich in den letzten Jahren einiges getan, so geht man mittlerweile davon aus, dass es unterschiedliche Formen von Narzissmus gibt.

Auch bescheidene Menschen können Narzissten sein

Als die zwei unterschiedlichen Grundtypen von Narzissten werden grandios-maligne und vulnerabel-fragile Typen bezeichnet. Beiden ist gemeinsam, dass sie in ihrem Innersten denken, nicht liebenswert zu sein und Angst davor haben, sich ehrlich zu zeigen. Im Unterschied zur alltagspsychologischen Annahme, dass Narzissten ein übersteigertes Selbstwertgefühl haben, wird in der Forschung mittlerweile eher davon ausgegangen, dass sie ein sehr geringes Selbstbewusstsein besitzen. Sie weisen kein stabiles Ich-Gefühl auf und haben zu wenig Gefühl für ihre eigentlichen Bedürfnisse oder die Bedürfnisse anderer. Daher zeigen sie ausnutzende Tendenzen und versuchen, ihre eigenen Ziele durch die Manipulation anderer zu erreichen. Sie überschätzen ihre eigenen Fähigkeiten und gehen davon aus, dass sie eine bessere Behandlung verdienen als ihre Mitmenschen. Auf Kritik reagieren sie abwehrend, manche gar aggressiv.

Die sogenannten vulnerabel-fragilen Narzissten erscheinen nicht offen egoistisch, sondern eher devot-unterwürfig, wollen sich etwa dem Partner oder im Arbeitskontext unterordnen und es anderen scheinbar recht machen. Dennoch zeigen sie eine klare Ich-Fixiertheit und konzentrieren sich schlussendlich auf die eigenen Bedürfnisse und Gefühle.

Dazu, wie sich Narzissmus entwickelt, gibt es unterschiedliche Theorien. Meist wird davon ausgegangen, dass er in der frühesten Kindheit wurzelt, wenn kindliche Bedürfnisse vernachlässigt werden – sei es durch emotional kalte Ablehnung der Eltern und dem daraus resultierenden fortwährenden Streben nach Zuneigung und Anerkennung oder dadurch, dass keine Grenzen gesetzt werden und die Kinder damit auch ein unrealistisches und übersteigertes Selbstbild entwickeln.
So negativ und schädlich diese Schilderungen klingen mögen, zeigt sich dennoch, dass Narzissten durchaus erfolgreich sein können, gerade aufgrund der Anforderungen der heutigen Berufswelt.

Narzissmus als Weg zum Erfolg?

Narzissten sind oft sehr leistungsbereit und motiviert, sie übernehmen gerne Führungspositionen. Sie können mit Leistungsdruck umgehen, verstehen sich selbst als erfolgsorientiert und haben kein Problem mit Selbstoptiminierung, –vermarktung und Perfektionismus, was in der aktuellen Jobwelt durchaus geschätzt wird. Die Probleme, die allerdings durch den Führungsstil von Narzissten entstehen, werden mittlerweile unter dem Begriff „bad leadership“ untersucht.
Mit Misserfolgen wiederum kommen sie nur schwer zurecht, diese führen zu Selbstwertkrisen. Sie neigen dazu, sich fortlaufend mehr Verantwortung aufzubürden und haben übertriebene Erwartungen an sich selbst, weshalb sie gefährdet sind, durch Überarbeitung in eine Erschöpfungsdepression zu geraten.

Der Absturz – Narzissmus und Depression

Narzissmus ist eine Erkrankung mit einer erhöhten Komorbiditätsrate, gerade von Angststörungen, Suchtproblemen oder Depressionen sind Narzissten häufig auch betroffen. Zudem ist die Suizidrate bei Menschen mit narzisstischen Persönlichkeitsstörungen sehr hoch. Insbesondere in Krisensituationen wie Jobverlust oder Trennungen sind sie sehr gefährdet und können in eine depressive Phase geraten

Zur Behandlung von Narzissmus und Folgeerkrankungen

Oft suchen Betroffene aufgrund anderer Probleme psychotherapeutische oder medizinische Behandlung, etwa für Folgeerkrankungen wie Depressionen oder Suchterkrankungen, da die Krankheitseinsicht bei Narzissmus in den meisten Fällen nicht vorhanden ist. Diese Ausgangssituation erschwert nicht nur die Diagnose, sondern auch den Aufbau eines therapeutischen Vertrauensverhältnisses. Während Patienten mit narzisstischer Depression oder narzisstischer Persönlichkeitsstörung viel Aufmerksamkeit und Interesse einfordern, lassen sie diese aber anderen und damit auch ihrem Therapeuten nicht zukommen.
Wenn eine affektive Beziehung zum Therapeuten aufgebaut werden kann, kann an der Verbesserung der Beziehungsfähigkeit gearbeitet werden und eine realistischere Selbstwahrnehmung sowie der Aufbau stabiler sozialer Bindungen gefördert werden. Die therapeutischen und medizinischen Maßnahmen müssen im Einzelfall gezielt angepasst werden, die möglichen Behandlungen reichen von Empathie-Rollenspielen bis zur begleitenden Psychopharmaka-Therapie.

Dr. med. Marc Risch

Zum Autor
Dr. med. Marc Risch, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Er studierte Humanmedizin in Zürich und Innsbruck und schloss sein Studium in Innsbruck mit einem Doktorat ab. In den weiteren Jahren absolvierte er vertiefende Ausbildungen unter anderen in den Bereichen Krisenintervention, wo er zusammen mit seiner Frau als Ausbildner für das Rote Kreuz tätig war. Seit 2012 führt der Psychiater seine eigene Praxis in Schaan und arbeitet als Chefarzt im Clinicum Alpinum.

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