Ärzte leiden oft unter arbeits- oder berufsbedingtem Stress. Auch ihre Berufsgruppe ist nicht immun gegenüber berufsbedingten Belastungen und daraus resultierenden Folgen wie beispielsweise psychische Erkrankungen – im Gegenteil: Zahlreiche Studien, ob national oder international belegen, dass Mediziner im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung besonders gefährdet sind, beispielsweise Depressionen zu entwickeln. Zudem weisen Ärzte verglichen mit der Gesamtbevölkerung eine signifikant höhere Suizidrate auf. Die Zahlen erschrecken und sollten nicht nur die betroffenen Ärzte, sondern auch deren Patienten zum Nachdenken anregen. Insbesondere auch deshalb, weil Studien belegen, dass ein direkter Zusammenhang zwischen der Gesundheit des Arztes und der Qualität der Patientenversorgung vorliegt, d. h. die Qualität der Patientenversorgung sinkt mit zunehmender Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Arztes.
Warum sind psychische Belastungen im Arztberuf so häufig?
Bereits im Studium weisen angehende Mediziner eine höhere Prävalenz für psychische Beeinträchtigungen wie Depressivität und Suizidalität auf. Dabei spielen insbesondere folgende gesundheitsgefährdenden Einflüsse im Medizinstudium eine Rolle
– Hohe Arbeits- bzw. Lernbelastung
– Prüfungs- und Benotungssysteme
– Konkurrenzdenken
– Schlafmangel
– Mangel an sozialer Unterstützung
– Konfrontation mit kranken und sterbenden Menschen
Nach erfolgreichem Studienabschluss sind diese Belastungsfaktoren nicht weg – ganz im Gegenteil: Berufstätige Ärzte stehen aufgrund ihres Berufes in einem Spannungsfeld zwischen hohen Anforderungen versus geringen Einflussmöglichkeiten für den einzelnen Arzt. Dieser Umstand senkt die Arbeitszufriedenheit. Gleichzeitig scheint diese Berufsgruppe besonders stark mit einer geringen sozialen Unterstützung konfrontiert zu sein. Nationale sowie internationale Studien dokumentieren, dass Mediziner häufig unter arbeits- oder berufsbedingtem Stress leiden, welcher das Risiko einer depressiven Erkrankung erhöht.
Erhebungen unter Ärzten zeigen insbesondere die folgenden arbeitsbedingten Belastungsfaktoren auf:
– lange, unregelmässige Arbeitszeiten und Schichtdienst
– mangelnde Freizeit und somit auch sozialer Rückzug
– fehlende Vereinbarkeit von Beruf und Familie
– hohes Mass an Verantwortung
– mangelnde Anerkennung / Rückmeldung für gute Arbeit
– enormer Zeitdruck
– Konkurrenzdenken
– Übermass an Bürokratie und somit wenig Zeit für die ursprüngliche ärztliche Tätigkeit
– Politische Zwänge
– hohe Erwartungshaltung von Vorgesetzten
– Angst vor Behandlungsfehlern
– kritischere und besser informierte Patienten
– Konfrontation mit kranken und sterbenden Menschen
Schliesslich wird oft auch die Arzt-Patienten-Beziehung als psychischer Belastungsfaktor genannt. Patienten sind in einem Machbarkeitswahn» und möchten einen schnellen Behandlungsprozess sowie eine noch schnellere „Heilung“, welche trotz rasanten technischen Fortschritten nicht möglich ist. Zudem macht die angestrebte Standardisierung der Patientenversorgung den Arzt zum reinen Dienstleister, wobei die im Pflege- und Heilungsprozess wichtigen psychologischen und humanistischen Aspekte zu kurz kommen. Doch genau aufgrund dieser Aspekte erleben Ärzte ihre Arbeit als sinnstiftende Tätigkeit.
Suizidalität bei Mediziner
Obwohl Mediziner im Vergleich zu anderen Berufsgruppen ein höheres Risiko für psychische Erkrankungen aufweisen, suchen sie, wenn überhaupt, erst sehr spät professionelle Hilfe auf. Bleibt eine depressive Verstimmung unbehandelt, kann sie sich zu einer schweren Depression manifestieren, in welcher suizidale Gedanken nicht selten sind. Ärzte weisen verglichen mit der Gesamtbevölkerung eine signifikant höhere Suizidrate auf. Die deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie bezifferte das Suizidrisiko bei Ärzten 1.1- bis 2.4-fach und bei Ärztinnen sogar 2.3- bis 5.6-fach höher als bei der Allgemeinbevölkerung. Psychische Labilität, ein hoher Leistungsethos sowie die spezifischen Kenntnisse über Suizidmethoden gelten als spezifische Faktoren für die erhöhte Suizidrate dieser Berufsgruppe.
Prävention und Therapie
Die Studienlage deutet darauf hin, dass ein enormer Handlungsbedarf bei der Prävention und Therapie dieser Berufsgruppe besteht. Nicht zuletzt deshalb, weil die spezifischen Anforderungen und Rahmenbedingungen des Medizinstudiums sowie des Arztberufes ein grosses Mass an Resilienz fordern. Eine Auseinandersetzung mit dieser Problematik bereits im Studi-um und ein gezielter Leitfaden zur Gesundheitsförderung bzw. Prävention für den berufstätigen Arzt bzw. die berufstätige Ärztin sind momentan noch rar.
Untersuchungen belegen, dass unter anderem die folgenden Elemente einen präventiven Effekt auf die psychische Belastung bei Ärzten haben, wobei die grössten Effekte bei einer Kombination mehrere Elemente zu erwarten sind:
– Kognitive Verhaltenstherapie
o Stressmanagement
o Kommunikationstraining
o Achtsamkeit
o Aufbau des Selbstwertgefühls
– Organisatorische Massnahmen
o kürzere Schichten
o weniger Rotationen in der Ausbildung
o veränderte Arbeitsprozesse
– Soziales Netzwerk
o Aufrechterhalten von Beziehungen
o Knüpfen von Beziehungen
Nicht nur Ärzte, sondern auch Medizinstudenten neigen infolge der Belastung durch Beruf und Studium dazu, sich aus sozialen Beziehungen zurückzuziehen. Dabei ist erwiesen, dass sowohl soziale als auch berufliche Isolation ein wichtiger Treiber für die Entstehung von depressiven Krankheitsbildern sind. (Verlinkung) Sämtliche Studien kommen zum gleichen Ergebnis: ein gut funktionierendes soziales Netzwerk bzw. Umfeld bewirkt eine deutliche Verringerung des Depressionsrisikos.
Im beruflichen Kontext fördern formelle und informelle Angebote den Kontakt unter Kollegen und somit auch eine gute Teamarbeit. Die Initiative dafür sollte nicht nur von den Ärzten selbst, sondern auch vom Arbeitgeber übernommen werden.
Schlussendlich gilt, dass Ärzte, die sich wohl und gesund fühlen, unter anderem auch eine bessere und qualitativ hochwertigere Patientenversorgung leisten. Deshalb ist es wichtig, dass Ärzte (und selbstverständlich auch andere Fachpersonen aus dem Gesundheitsbereich) kontinuierlich daran arbeiten einen Ausgleich zur Arbeitsbelastung vollziehen zu können, um eine gesundheitsförderliche Balance zwischen Pflichten und angenehmen Aktivitäten zu finden. Zudem sollten sich Ärzte auch frühzeitig eingestehen, wenn sie auf die Hilfe von Arbeitskollegen angewiesen sind. In der Arbeit mit Betroffenen ist es besonders wichtig, die eigenen Schwächen einzugestehen und mit gutem Vorbild voranzugehen.
Zum Autor
Dr. med. Marc Risch, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Er studierte Humanmedizin in Zürich und Innsbruck und schloss sein Studium in Innsbruck mit einem Doktorat ab. In den weiteren Jahren absolvierte er vertiefende Ausbildungen unter anderen in den Bereichen Krisenintervention, wo er zusammen mit seiner Frau als Ausbildner für das Rote Kreuz tätig war. Seit 2012 führt der Psychiater seine eigene Praxis in Schaan und arbeitet als Chefarzt im Clinicum Alpinum.
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