Bei bis zu 80% der Patienten mit einer Depression kommt es nach einer erfolgreichen Behandlung zu einem Rückfall. Die meisten Rückfälle treten dabei innerhalb der ersten sechs Monate nach dem Ende der Akutbehandlung auf, so dass nach einer beschwerdefreien Phase (sogenannte Remission) erneut Symptome bemerkbar werden. Von den Menschen, welche einmal an einer Depression erkranken, erleiden ungefähr 60% eine weitere Episode. Bei ungefähr 20% der von einer Depression Betroffenen zeigt sich ein chronischer Verlauf, das heisst die depressive Symptomatik hält länger als zwei Jahre an. Die wiederkehrende (rezidivierende Depression im Fachjargon) und die chronische Depression (persistierende Depression im DSM-5) sind daher die beiden Verlaufsformen, an denen die meisten an Depression Erkrankten leiden.
Es gilt daher für Patienten wie Therapeuten, mit der hohen Wahrscheinlichkeit umzugehen, dass es zu einem Rückfall kommen kann.
Was sind die Risikofaktoren für einen Rückfall?
Wenn es zu Rückfällen kommt, ist nicht immer ein klarer Auslöser erkennbar, aber es gibt eindeutige Risikofaktoren:
Gibt es Frühwarnzeichen für einen Rückfall?
Die Frühwarnzeichen sind individuell unterschiedlich und können eine ganze Reihe von Symptomen umfassen. Von Abgeschlagenheit über Konzentrationsprobleme bis hin zu Schlafstörungen sind diverse möglich. Meist tritt die Depression schleichend wieder auf, Betroffene bleiben länger im Bett, Mahlzeiten werden ausgelassen, erste Konzentrationsschwierigkeiten werden bemerkt, usw.
Wichtig ist sowohl für die Betroffenen, als auch für das Umfeld, diese Veränderungen frühzeitig wahrzunehmen, um rasch reagieren zu können. Wie sich Rückzüge erkennen lassen und warum genaues Hinsehen bei depressiven und u.U. suizidgefährdeten Personen wichtig ist, erläutern wir Ihnen in unseren weiteren Artikeln rund um das Thema.
Aber aufgepasst: Eine ständige Überprüfung des Gefühlzustandes kann dazu führen, dass harmlose Stimmungsschwankungen und unangenehme körperliche oder emotionale Empfindungen – welche den depressiven Symptomen ähnlich sind – fehlinterpretiert werden. Diese Fokussierung hat häufig eine problematische Grübel- und Sorgenneigung sowie eine weitere Verstärkung der Bedrohungsüberwachung sowie Schonverhalten zur Folge, was das Neuauftreten einer erneuten depressiven Phase begünstigen kann. Leiden wir nur vorübergehend an Emotionen wie Traurigkeit, Hoffnungslosigkeit oder Scham, negative Gedanken und kurzfristig vorhandene körperliche Symptome wie Müdigkeit, Erschöpfung oder Schmerz, müssen wir nicht handeln. Denn solche Gefühle gehören zu unserem Leben und erfordern keinen Handlungsbedarf, wenn sie von alleine wieder verschwinden.
Was soll ich bei einem Rückfall tun?
Bei einer schweren Erschöpfungsdepression unterstützt ein stationärer Aufenthalt dabei, zur Ruhe zu kommen und über mehrere Wochen hinweg in einem konzentrierten Behandlungsprogramm zu genesen. Schlussendlich geht es aber bei der Auseinandersetzung mit Rückfällen nach der Therapie natürlich auch um die Frage, wie diesen vorgebeugt werden kann.
Strategien, um Rückfällen vorzubeugen
Ob Psychotherapie oder die Einnahme von Psychopharmaka (insbesondere Antidepressiva) als Langzeittherapie zur Vermeidung von Rückfällen wirksamer ist, wird auch in aktuellen Studien immer wieder untersucht. Noch ist hier keine eindeutige Aussage möglich. Üblicherweise wird eine Kombinationstherapie aus Psychotherapie und Psychopharmaka empfohlen. Ein überstürztes Absetzen oder eine Dosisreduktion von Antidepressiva erhöht das Rückfallrisiko. Deshalb sollen Änderungen der Medikation schrittweise und nur in Rücksprache mit dem zuständigen Arzt erfolgen.
Wesentlich für die sogenannte Rückfallprophylaxe ist auch die Anwendung und regelmässige Einübung der in der Therapie erlernten Fertigkeiten (z. B. Achtsamkeit, Entspannungsverfahren, Emotionsregulation, Verhaltensaktivierung etc.), welche einer Depression entgegenwirken.
Häufig verbreitete und sehr vage gehaltene Tipps zur Rückfallvorbeugung wie «sportliche Betätigung» oder «gesunde Ernährung» sind schwer zu verallgemeinern: Körperliche Gesundheit ist auf jeden Fall für anhaltende Gesundheit wichtig, aber allgemeine Empfehlungen, wie viel und welche Betätigung angebracht ist, gibt es nicht. Ebenso gilt, dass ausgewogene Ernährung dazu beiträgt, gesund zu bleiben, auch wenn es keine dezidiert antidepressiv wirkenden Speisen gibt. Auch der Verzicht auf Substanzmissbrauch wird empfohlen. Zudem kann das Aufbauen eines «Hilfsnetzwerkes» dabei helfen, gesund zu bleiben: Partner und Angehörige sollten dringend in die Behandlung miteinbezogen werden.
Spezifische Auslöser für depressive Phasen sollen, wenn sie erkannt werden, in Zukunft vermieden werden. Dabei kann es sich um Personen ebenso wie um bestimmte Situationen handeln.
Allgemeinen Ratschlägen, wie Rückfällen vorgebeugt werden kann, sollten Sie daher mit Vorsicht begegnen. Stattdessen ist es zielführender, in enger Abstimmung mit Ihrem Therapeuten und Ihrem Umfeld Ihre eigene Situation genau zu beobachten und daraus Strategien zu entwickeln.
Zum Autor
Fabian Müller, studierte Psychologie in Zürich und schloss sein Studium mit einem Master in klinischer Psychologie ab. Aktuell absolviert der Psychologe die Weiterbildung «Psychotherapie mit kognitiv-behavioralem und interpersonalem Schwerpunkt» am Klaus-Grawe-Institut in Zürich. Während dem Studium arbeitete er im Schlaflabor Fluntern in Zürich. Nach seinem Abschluss arbeitete er in der Klinik St. Pirminsberg in Pfäfers und war dort als Stationspsychologe auf der Entwöhnungsstation und Praktikumskoordinator im Bereich Psychologie tätig. Seit März 2019 arbeitet der Psychologe bei uns im Clinicum Alpinum.
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