Trauernde Menschen sind nicht depressiv

Die Trauer ist etwas sehr Intimes, höchst persönliches und ein Vorgang bei dem es kein richtig oder falsch gibt. Und: Trauer hat mit Krankheit nichts zu tun! Diese Anmerkung ist insbesondere dann wichtig, wenn sich ein Psychiater Gedanken zu Trauer macht.

Trauer im Spiegel der historischen Entwicklung

Bekanntlich gibt es je nach Religion verschiedene Trauerrituale, die sich über die Jahrhunderte, ja Jahrtausende weiterentwickelt haben. Abhängig von der religiösen Ausrichtung, haben Trauer-rituale bis in die heutige Zeit überdauert. Teil-weise wurden sie angepasst oder neu interpretiert.

Erinnern wir uns an das Ritual, im Sinne des Setzens eines äusserlichen Zeichens, wenn Hinterbliebene nach dem Tod eines nahestehenden Menschen schwarz tragen. Immer wieder hört man auch, dass das sogenannte Trauerjahr ein ausreichendes Mass darstellen könne, um zu trauern und anschliessend nach Ablauf dieses Jahrs wieder in ein «normales Leben» über-zugehen. Trauerjahr, das Tragen schwarzer Kleidung und viele weitere Rituale stehen in Konkurrenz zu oben erwähnten Feststellungen, dass Trauer etwas Höchstpersönliches und sehr Individuelles darstellt.

Trauern ist individuell

Trauer ist etwas Höchstpersönliches und sehr Individuelles. Daher ist es wichtig, die gesellschaftlichen
Konventionen im Zusammenhang mit dem Trauern zu durchbrechen. Trauernde müssen viel mehr motiviert werden, ihren eigenen Trauerprozess zu durchleben und ihre eigene Möglichkeit der Trauer zu finden. Als Mitmensch unterstützt man Trauernde auf ihrem persönlichen Trauer-Weg am besten mit menschlicher Nähe und Demut, v.a. aber auch kommunikativer Zurückhaltung zu begegnen. Das gemeinsame Aushalten des Unumkehrbaren im Rahmen von Verlustereignissen ist ein zentrales, sich im Rahmen der Trauer, wiederholendes Momentum.

Über Trauerprozesse wurde auch Forschung betrieben, es wurden Trauerphasen definiert. Das problematische an diesen, durch die Aufklärung motivierten Phasenmodellen ist, dass sie den Betroffenen implizieren, dass wenn beispiels-weise eine der Phasen nicht durchlaufen oder möglicherweise den Trauerprozess mehrfach durchlaufen, dies möglicherweise keine normale Trauer sein könnte. Doch, was ist (schon) normal?

Trauer ist mehr als Traurigkeit

Ein gesellschaftlich (gerade noch) anerkanntes Zeichen einer akuten Trauerreaktion ist, dass Betroffene ihrer Emotionalität für Tage – meist bis kurz nach der Beerdigung die oft sehr schnell zu geschehen hat – Ausdruck verleihen. Aber bitte nicht mehr, oder «jetzt ist dann gut» hört man hinter vorgehaltener Hand von Seiten des erweiterten Umfeldes. Dabei scheint die «Träne» ein adäquates, für Aussenstehende, gut einzuordnendes Zeichen der Trauer zu sein. Trauer beinhaltet häufig mehr als Traurigkeit. Das Trauern geht oft mit grossartigem, destruktivem Zorn, Wut, Ärger aber auch grosser Verzweiflung einher. Dies sind alles emotionalen Regungen die heute gesellschaftlich nicht wirklich sein sollen, aber einem normalen Trauerprozess im Sinne einer notwendigen hohen emotionalen Ambivalenz dazu verhelfen, das Unglaubliche, welches dem Verlust oft innewohnt, Schritt für Schritt verarbeiten zu können.

Wichtig ist auch anzuerkennen, dass sich Trauerprozesse je nach Lebensphasen und Lebens-situation sehr unterschiedlich zeigen: Kinder, die über eine sehr magische Gedankenwelt verfügen, trauern selbstverständlich anders als Erwachsene, die plötzlich ihren Partner verlieren. Noch einmal anders ist es, wenn betagte Menschen den Tod ihrer eigenen Kinder zu beklagen haben. Der Geschwistertod wiederum hat andere Aspekte zu betrachten, wie der Partnertod. Und: Auch hier gibt es keine Checklisten, was richtig oder falsch ist, es gilt vielmehr die eigene Trauer und das eigene Gedenken persönlich zu gestalten.

Die digitale Todesanzeige

Ein neuer Trend des Trauerns bzw. öffentlichen Trauern und Betrauern und ein gegenläufiger Trend zur Langsamkeit und Intimität der Trauer ist im Zusammenhang mit sozialen Medien zu erkennen.
Haben wir uns noch bis vor wenigen Jahren sehr intensiv innerhalb der Familien mit der
Gestaltung von sogenannten «Todesanzeigen» auseinandergesetzt, stellen heute «moderne
Menschen» den Verlust ihrer Lieben umgehend ins Netz, ja vielleicht um ihrem Schmerz Ausdruck zu geben oder von vielen betrauert zu werden?

Was häufig vergessen wird ist, die Herausforderung, dass sich Angehörige im Falle eines plötzlichen oder auch weniger plötzlichen Todesfalles, zunehmend auch mit der digitalen Beerdigung des Verstorbenen auseinandersetzen müssen. Die sogenannten digitalen Avatare über-dauern bekanntlich das Leibliche! Eine Herausforderung, der es sich zu stellen gilt. An diesem Punkt ist es wichtig, Trauernde zu motivieren auf sich, auf ihre innere Stimme, auf ihr inneres Gefühl zu hören und sich im Trauerprozess wiederholt auch Gedanken darüber zu machen, in welcher Form sie trauern und gedenken wollen. Auch hier gilt, es gibt kein richtig, es gibt kein falsch. Wichtig ist, den eigenen Trauerprozess je nach Situation zu gestalten und anzupassen.

Orte und Objekte der Trauer

Was viele Menschen brauchen, um sich auch Jahre nach dem Verlust wieder an die verstorbene Person zu erinnern, ist häufig eine gut gewählte Örtlichkeit oder einen Objektbezug, der es einem aus ritueller Sicht ermöglicht sich für Momente, Stunden oder Tage intensiv zu erinnern. Hier sind Jahrtage, Todestage, Geburtstage oder Erinnerungen an gemeinsam Erlebtes wichtig. Diese Orte, Objekte, Geschichten gilt es als persönlich wertvolles Ritual anzuerkennen und gegebenenfalls auch zu «Verteidigen» im Sinne von: «Ich mach das jetzt so!»

Wie kann man jemandem, der trauert beistehen?

Was können wir als Angehörige, Freunde oder Partner tun, wenn wir Menschen, die trauern beistehen wollen? Ich denke, dass der Begriff des Beistehens treffender nicht sein könnte. Jemand der beisteht, jemand der hier ist und sich vor allem und das scheint mir zentral, mit Ratschlägen über den eigenen Trauerprozess zurückhält.Reden ist Silber, Schweigen ist Gold! Eine Trauerkarte, die konkreten Bezug nimmt zum Verstorbenen und zeigt, dass jemand ernsthaft in Gedanken bei uns ist, hilft. Ein stiller Gruss in einer «Whats App» kann mehr bewirken, als ein gut gemeinter Händedruck. Die Präsenz der Menschen und das Gefühl nicht alleine zu sein ist von grossem Wert.

Wenn ich meine eigene Trauer betrachte, stelle ich fest, dass Momente mit den Verstorbenen immer wieder in sehr unterschiedlicher Häufigkeit in Erinnerung kommen und einem zu einem kurzen Innehalten mit gleichzeitiger Bitterkeit und tiefsinniger Dankbarkeit verleiten. Persönlich hat mich ein Arztkollege vor vielen Jahren im Rahmen einer Beerdigung beeindruckt und das Bild ist mir bis heute in bleibender Erinnerung.

Er hat damals eine Geste am Grab eines uns nahestehenden Menschen gezeigt, die mich beeindruckt hat.

Er hat sich vor dem Sarg und anschliessend vor den Angehörigen, in einer sehr aufrichtigen Art und Weise verbeugt.

Er hat damit mit Würde, Demut und Grösse dem Verstorbenen und seinen Angehörigen, die letzte Ehre erwiesen.

Trauer und Betrauern ist von grösster Individualität, die wir uns erhalten sollten.

Dr. med. Marc Risch

Zum Autor
Dr. med. Marc Risch, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Er studierte Humanmedizin in Zürich und Innsbruck und schloss sein Studium in Innsbruck mit einem Doktorat ab. In den weiteren Jahren absolvierte er vertiefende Ausbildungen unter anderen in den Bereichen Krisenintervention, wo er zusammen mit seiner Frau als Ausbildner für das Rote Kreuz tätig war. Seit 2012 führt der Psychiater seine eigene Praxis in Schaan und arbeitet als Chefarzt im Clinicum Alpinum.

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