Hochsensibilität ist mehr als ein Modebegriff – aber was verbirgt sich hinter diese Diagnose und ist damit eine höhere Neigung zu Depressionen verbunden?
Führt Hochsensibilität zu Depressionen?
Noch vor 10 Jahren war Hochsensibilität im deutschen Sprachraum kaum jemandem ein Begriff. Während die Forschung dazu noch am Anfang steht, hat die Auseinandersetzung in Medien und auch im therapeutischen Umgang schon begonnen – gerade der Selbstdiagnose ist dabei aber mit Vorsicht zu begegnen.
Erstmals beschrieben wurden „highly sensitive persons“ (HSP) 1997 von der US-amerikanischen Psychotherapeutin Elaine Aron, die auch einen Test zur Feststellung von Hochsensibilität entwickelte. Wie viele Menschen als hochsensibel zu bezeichnen sind, ist umstritten – während zum Teil von bis zu 25% der Weltbevölkerung ausgegangen wird, liegen realistischere Schätzungen bei etwa 1% bis 3%.
Da immer wieder zu lesen ist, hochsensible Menschen seien „anfälliger“ für psychische Krankheiten, setzen wir uns im vorliegenden Artikel damit auseinander, ob das so als Feststellung haltbar ist und wie Hochsensibilität erfasst wird.
Was ist Hochsensibilität?
Hochsensibilität oder Hochsensitivität beschreibt eine besonders feine Wahrnehmung von Sinneseindrücken und Empfindungen (auch von Mitmenschen), die oft zu einer Überforderung oder Überreizung führt. Fälschlicherweise wird sie auch als Hypersensibilität oder Überempfindlichkeit bezeichnet.
HSPs nehmen sich selbst als besonders feinfühlig war, andere Personen schreiben ihnen oft von Kindheit an zu, „übersensibel“ zu sein. Hochsensible brauchen oft Rückzugsmöglichkeiten, da sie Sinneseindrücke intensiver wahrnehmen und sich schnell von hektischen Situationen überfordert fühlen. Ohne Ruhezeiten und Möglichkeiten zum Rückzug kann es zu Stressüberlastung und Krankheiten kommen.
Die wichtigsten Erkennungszeichen von Hochsensibilität
– Hochsensibilität zeigt sich schon in der Kindheit – Betroffene werden von Familie und Freunden als „sensibel“ und „still“ bezeichnet. Hochsensible Kinder ziehen sich oft zurück und spielen allein, sie zeigen Angst und Überforderung angesichts von neuen, insbesondere hektischen Situationen (Menschenmengen, Bahnhöfe, u.ä.).
– Hochsensible Personen berichten von einem intensiveren Wahrnehmen und Erleben – sowohl von Sinneseindrücken als auch von Gefühlen. So nehmen sie Geräusche und Gerüche schneller als störend oder gar bedrohlich wahr als andere und nehmen auch Stimmungen und Gefühle ihrer Mitmenschen intensiv wahr.
– Die Sensibilität kann so weit gehen, dass sie sich ungewollt bzw. unbewusst in die Situation anderer hineinversetzen und sich intensiv mit deren Problemen und Fragen auseinandersetzen und mit ihnen mitleiden.
– Hochsensible ziehen sich öfter und schneller zurück als andere, auch aus sozialen Situationen, die sie freiwillig und bewusst aufsuchen (etwa auch Partys, Familienbesuche), um Überstimulation zu vermeiden bzw. ihr auszuweichen.
– Hochsensiblen wird zudem ein Hang zum Perfektionismus nachgesagt: In der Kommunikation und im Umgang mit anderen wird scheinbar unwichtigen Dinge eine große Bedeutung beigemessen. Erhöhte Gewissenhaftigkeit kann dazu beitragen, dass Aufgaben nicht zu Ende gebracht werden aus Angst, nicht zu genügen.
– Außerdem beschreiben Hochsensible sich selbst als analytische und zweifelnde Personen, die davon ausgehen, Ansprüchen von außen nicht gerecht werden zu können.
Sind hochsensible Menschen öfter depressiv?
Die Sensibilität gegenüber äußeren Reizen kann in stressigen Lebensphasen oder in Drucksituationen psychosomatische Erkrankungen verstärken. Ähnlicher wie aber etwa bei Einsamkeit stellt sich die Frage, ob hier man es hier mit einem Symptom oder einer Ursache der Depression zu tun hat. Zugleich ist das Phänomen der Hochsensibilität noch nicht ausreichend erforscht, um von einem direkten Zusammenhang ausgehen zu können.
Ähnliche Muster in Bezug auf Überforderung und Stressüberlastung und daraus erfolgendem Rückzug und Untätigkeit zeigen sich bei depressiven und hochsensiblen Personen: Wenn der Stress sich nicht mehr abbauen lässt, kann das zu seelischen und körperlichen Erkrankungen führen. Daraus kann aber lediglich der Schluss gezogen werden, dass es für hochsensible wie für depressive Menschen wichtig ist, Warnzeichen zu erkennen (was ist mir zu viel?) und zu lernen, sich abzugrenzen und sich zu schonen.
Hochsensibilität ist keine Krankheit
Eine „Behandlung“ von Hochsensibilität an sich ist nicht angebracht und nicht notwendig, da es sich um keine Störung oder Krankheit handelt. Die Probleme, unter denen hochsensible Personen leiden, entstehen durch Stress, Überlastung und psychische Erkrankungen wie Depressionen, die zur Hochsensibilität hinzukommen.
Hochsensible berichten oft, dass sie längere Erholungsphasen und viel Schlaf brauchen; die Möglichkeiten zum Rückzug sind wichtig, um wieder Kraft zu tanken. Meditations- und Entspannungstechniken können dabei helfen, mit stressigen Situationen besser umzugehen. Auch ihr Umfeld muss aber natürlich auch lernen, mit ihnen richtig umzugehen – und Verständnis für das Ruhe- und Rückzugsbedürfnis aufbringen.
Zum Autor
Dr. med. Marc Risch, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Er studierte Humanmedizin in Zürich und Innsbruck und schloss sein Studium in Innsbruck mit einem Doktorat ab. In den weiteren Jahren absolvierte er vertiefende Ausbildungen unter anderen in den Bereichen Krisenintervention, wo er zusammen mit seiner Frau als Ausbildner für das Rote Kreuz tätig war. Seit 2012 führt der Psychiater seine eigene Praxis in Schaan und arbeitet als Chefarzt im Clinicum Alpinum.
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