Angst ist ein urmenschliches Gefühl und gehört zu unserem Leben dazu. Doch Ängste können ausser Kontrolle geraten und uns lähmen, ja sogar krankmachen. Doch wo hört die normale Angst auf, wo fängt die krankhafte Angst an und wie sehen die aktuellen Behandlungsmöglichkeiten bei Angsterkrankungen aus?
Angst als lebensnotwendiges Gefühl
Angst zählt neben Ärger, Trauer, Freude, Ekel und Überraschung zu den sogenannten Basis-Emotionen. Viele Emotionsforscher gehen davon aus, dass die Basis-Emotionen angeboren (nicht erlernt), universell und mit bestimmten Hirnarealen verknüpft sind. Angst ist somit ein existenzielles Gefühl und begleitet uns Menschen ein Leben lang. Ohne Angst wären wir nicht überlebensfähig. Sie schützt uns vor körperlichen und seelischen Verletzungen. Sie hilft uns Gefahren zu erkennen und darauf zu reagieren. Angst erhöht unsere Aufmerksamkeit und unsere Reaktionsbereitschaft. Dabei unterstützen uns vor allem die Angst begleitenden Körperreaktionen: Die Muskeln spannen sich an, das Herz schlägt schneller, Stresshormone werden ausgeschüttet, so dass Körper und Geist hochkonzentriert und leistungsfähig sind.
Wann spricht man von einer Angststörung?
In unserem Leben stehen wir immer wieder ängstlichen Situationen gegenüber: Sorgen und Ängste um Menschen, die uns lieb sind, Geld- oder Arbeitsplatzverluste, Krankheiten, die uns bedrohen und so liesse sich die Aufzählung fast endlos fortsetzen. Auch Lebenskrisen und schwere Krankheiten lösen oft berechtigte Ängste aus, die kurzerhand überhandnehmen, uns sogar lähmen können, dann aber meist selbständig – teilweise auch mit professioneller Hilfe – überwunden werden können.
An diesem Punkt stellt sich die Frage, ab wann bei der Angst von einer ernsthaften psychischen Erkrankung die Rede ist und welche Kriterien für die Vergabe einer klinisch relevanten Angststörung erfüllt sein müssen? Bei den Angsterkrankungen ist die Unterscheidung zwischen Phobie und Panik wichtig. Typisch für eine Phobie ist eine dauerhafte, unangemessene und intensive Furcht vor bzw. Vermeidung von einem klar identifizierten Auslöser (im Allgemeinen ungefährliche Situationen oder Objekte) mit dem Ziel, die Angst zu reduzieren. Angstreaktionen (psychovegetative Symptome, welche im nachfolgenden Kapitel detaillierter aufgeführt werden) können auftreten, weil tatsächlich eine Konfrontation mit dem spezifischen Auslöser stattfindet, oder auch nur, weil diese Konfrontation befürchtet wird.
Bei der Panik hingegen handelt es sich nicht um die Angst vor einer spezifischen Situation oder besonderen Umständen, sondern um die Angst vor den eigenen körperlichen Sensationen bzw. Symptomen und um die Angst vor einer sogenannten erneuten Angstattacke.
Die Lebenszeitprävalenz von Angststörungen allgemein beträgt ca. 25%, d. h. jeder vierte wird einmal im Leben an irgendeiner Form der verschiedenen Angststörungen leiden. Die Gemeinsamkeiten aller Angststörungen sind die Angst und ihre sogenannten psychovegetativen Symptome, welche im Folgenden ausführlicher aufgeführt werden.
Wann spricht man von einer Angststörung?
Eine Angststörung geht mit dem Auftreten von vielseitigen Symptomen einher.
Dazu gehören vegetative Symptome:
– Herzklopfen
– Schweissausbrüche
– Tremor (Zittern)
– Mundtrockenheit
Symptome, die Thorax und Abdomen betreffen:
– Atembeschwerden
– Beklemmungsgefühl in der Brust
– Übelkeit
Psychische Symptome:
– Angst die Kontrolle zu verlieren
– Angst zu sterben
und/oder allgemeine Symptome:
– Hitzewallungen
– Kälteschauer
– Gefühllosigkeit
– Kribbelgefühle
Die genannten Symptome und/oder das Vermeidungsverhalten (um diesen Symptomen aus dem Weg zu gehen) rufen eine deutliche emotionale Belastung hervor und den Betroffenen ist bewusst, dass ihre Angst übertrieben und/oder unvernünftig ist. Das Vermeidungsverhalten und die Erwartungshaltung beeinträchtigen die Lebensqualität (sowohl privat als auch beruflich) der Betroffenen sehr.
Aus der Angst kann ein Teufelskreis entstehen
Sehr oft und schnell entsteht aus der Angst ein sogenannter Teufelskreis: Aus Angst vor der Angst (auch Erwartungsangst genannt) und verstärkter Selbstaufmerksamkeit (Insich-Hineinhorchen) schränken sich die Betroffenen im Alltag extrem ein, ziehen sich fast komplett aus ihrem sozialen Umfeld zurück und verlassen im schlimmsten Fall das eigene Zuhause gar nicht mehr, so dass die Angst aufrechterhalten wird, weil jegliche Möglichkeit für eine positive Lernerfahrung, dass die Angst unbegründet ist, wegfällt.
Ursachen von Angststörungen
Die Gründe, weshalb eine Angststörung entsteht, sind vielschichtig. Ein Zusammenspiel genetischer, neurobiologischer und psychischer Faktoren bestimmt in der Regel, ob sich bei einem individuellen Patienten die Angst in übersteigerter Form äußert:
– genetische Faktoren:
Studien belegen, dass genetische Faktoren für die Entstehung von verschiedenen Angststörungen bedeutsam sind, so dass in Familien von Betroffenen oft eine Häufung von Angsterkrankungen zu finden ist. Eine erblich erhöhte Reaktionsbereitschaft (erhöhte Hyperventilationsbereitschaft, erhöhtes physiologisches Aktivierungsniveau und erhöhte Aufmerksamkeit für interospezifische Reize) konnte nachgewiesen wer-den Ein einzelnes, für die Entstehung von Angsterkrankungen verantwortliches Gen wurde jedoch nicht identifiziert.
– neurobiologische Faktoren
Sowohl biologische als auch chemische Vorgänge in unserem Körper spielen beim Ursprung von Angsterkrankungen eine zentrale Rolle. Die Wissenschaft geht davon aus, dass bei Angsterkrankungen das Gleichgewicht von Botenstoffen (Neurotransmittern) wie z.B. Serotonin, Noradrenalin oder Gamma-Aminobuttersäure (GABA) im Gehirn gestört ist. GABA ist ein Angst hemmender Botenstoff im Gehirn. Bei Angst-Patienten wurden zudem Veränderungen in bestimmten Gehirnbereichen festgestellt, die für die Steuerung menschlicher Emotionen zuständig sind.
– psychische Faktoren
Einige psychische Faktoren für die Entwicklung von Angsterkrankungen beteiligt. Traumatische Lebensereignisse, soziale Belastungen, ungünstige Erziehungsstile aber auch langanhaltende und stressreiche Belastungen und Überbelastungen sind als Risikofaktoren für die Entstehung von Angststörungen identifiziert worden. Auch ein dauerhafter Drogen- und/oder Alkoholkonsum kann zur Entstehung von Angster-krankungen führen. Auch gewisse Persönlichkeitszüge (sogenannter Vermeidungstyp) kann die Entstehung begünstigen.
Angststörungen lassen sich behandeln
Menschen mit einer Angsterkrankung haben meist einen langen Leidensweg hinter sich, bevor sie sich professionelle Hilfe suchen. Doch wie bei Depressionen, gilt auch bei diesem Krankheitsbild, je früher die Behandlung erfolgt, umso besser sind die Aussichten auf eine nachhaltige Genesung.
Die Therapie von Angststörungen hat in den vergangenen Jahren deutliche Fortschritte erzielt. Jede Form der verschiedenen Angsterkrankungen hat seine spezifischen Merkmale, die auch entsprechende Interventionen und Behandlungsstrategien benötigen. Angsterkrankungen werden entweder mittels Psychopharmaka, Psychotherapie oder der Kombinationsbehandlung aus Psychopharmaka und Psychotherapie behandelt. Die Wirksamkeit der genannten Behandlungsmethoden ist gross, so sprechen beispielsweise 60-80% der Angstpatienten auf eine medikamentöse Behandlung an. Eingesetzt werden hauptsächlich Antidepressiva und/oder Benzodiazepine. Die Benzodiazepine werden in der Regel zur Überbrückung der Wirklatenz der Antidepressiva eingesetzt, sollten jedoch rechtzeitig wieder abgesetzt werden, weil sie ein hohes Abhängigkeitspotential mitbringen. Bei der Psychotherapie ist eine Verhaltenstherapie mit einer gut begleiteten Konfrontation mit den angstauslösenden Situationen die erfolgversprechendste Therapie, weil die Betroffenen dadurch lernen Stück für Stück ihre Angst zu überwinden und nicht davor zu flüchten, so dass sie langsam wieder in ein «normales» Leben zurückkehren können. Das heißt, die Betroffenen lernen in der Therapie beispiels-weise den Fahrstuhl zu benutzen, obwohl sie Angst davor haben. Bei sozialen Ängsten lernen sie Fremde anzusprechen, dem Gesprächspartner in die Augen zu sehen und auch in einer Gruppe das Wort zu ergreifen. Je häufiger und je mehr man sich diesen angstauslösenden Situationen aussetzt, desto eher kann man die Angst abbauen. Für die Betroffenen bedeutet es eine große Überwindung, in solche Situationen hineinzugehen, nachdem sie sie jahrelang gemieden haben. Ebenfalls wichtig ist, dass die Betroffenen die Erfahrung machen und lernen, dass die psychovegetativen Symptome wie Herzrasen, Schwindel, Kontrollverlust etc. keine gesundheitsschädigenden Folgen haben.
Eine erfolgreiche Behandlung setzt auch die Motivation des Patienten und die umfassende Aufklärung über das eigene Krankheitsbild voraus. Wichtig ist, dass Betroffene lernen, ihre Beschwerden als Ausdruck von Angst zu erkennen und auch zu ihrer Krankheit zu stehen.
Unbehandelt besteht, wie auch bei Depressionen, die Gefahr, dass die Angsterkrankung sich chronifiziert.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Ein Leben ohne Ängste ist weder sinnvoll noch möglich. Nicht die Vermeidung, sondern die Bewältigung von Ängsten wirkt sich positiv auf die Gesundheit aus. Bestimmt die Angst das Leben und stellt sie eine Belastung für Betroffene dar, ist rasche professionelle Hilfe notwendig.
Zum Autor
Dr. med. Marc Risch, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Er studierte Humanmedizin in Zürich und Innsbruck und schloss sein Studium in Innsbruck mit einem Doktorat ab. In den weiteren Jahren absolvierte er vertiefende Ausbildungen unter anderen in den Bereichen Krisenintervention, wo er zusammen mit seiner Frau als Ausbildner für das Rote Kreuz tätig war. Seit 2012 führt der Psychiater seine eigene Praxis in Schaan und arbeitet als Chefarzt im Clinicum Alpinum.
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