Werden jüngere Menschen immer einsamer?

Einsamkeit wird vor allem alten Menschen zugeschrieben, doch Menschen jeden Alters können sich einsam fühlen. Das hängt nicht in erster Linie davon ab, wie viele Sozialkontakte sie haben, denn auch umtriebige und beliebte Personen können sich einsam und unverstanden fühlen. Aber nimmt Einsamkeit vor allem bei jungen Menschen in den letzten Jahren deutlich zu? Und führt Einsamkeit zu Depressionen oder ist es umgekehrt?

 

Steigt die Einsamkeit unter jungen Leuten?

Es gibt durchaus Anzeichen dafür, dass gerade junge Menschen sich besonders einsam fühlen. Ein möglicher Grund dafür ist, dass sie Übergangsphasen erleben, etwa den Wechsel in eine neue Schule, den Übergang von Schule zum Studium oder von der Ausbildung zum Berufsleben. Diese Umbrüche bergen ein großes Risiko für Einsamkeit, da sich mit diesen das soziale Umfeld grundlegend ändert.

Gibt es aber wissenschaftliche Belege für die steigende Einsamkeit unter Jugendlichen? Die BBC erhob 2018 in einer Befragung von 55 000 Menschen (laut eigenen Aussagen die größte jemals durchgeführte Befragung zum Thema Einsamkeit), dass besonders junge Menschen sich einsam fühlen, denn in der Gruppe der 16- bis 24-Jährigen gaben 40% an, sich einsam zu fühlen, bei den Über-75-Jährigen dagegen waren es nur 27%. (1) In Japan wiederum erforscht die Soziologie seit den 1990ern das Phänomen, dass sich immer mehr Jugendliche als Reaktion auf den enormen Leistungsdruck der japanischen Gesellschaft zurückziehen und beinahe nur noch in ihren (Jugend)zimmern leben, diese werden „Hikikomori“ genannt.

 

Wege aus der Einsamkeit

Strategien gegen Vereinsamung gibt es einige, allerdings ist ihnen allen etwas gemeinsam – sie erfordern den Willen, selbst etwas an der Situation zu verändern. Häufig genannt werden folgende:

– Soziale Kontakte pflegen – aktiv Freunde und Bekannte ansprechen, sich bei größerer Distanz auch darum bemühen, fernmündlich und digital in Kontakt zu bleiben.

– Freude in alltäglichen Situationen finden – eine kurze Pause machen, einen Kaffee trinken, die ersten Sonnenstrahlen genießen usw., all das kann dabei helfen, denn Alltag wieder als lebenswerter zu empfinden und sich weniger einsam zu fühlen.

– Positiv denken – es klingt banal, aber je positiver man auf Menschen zugeht, desto höher ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass sie positiv auf einen reagieren.

– Ehrenamt und Hilfe leisten – sich ehrenamtlich zu engagieren hilft nicht nur anderen, sondern kann auch einem selbst dabei helfen, einen Weg aus der Einsamkeit zu finden.

Digitale Kommunikationsmöglichkeiten, Apps und Social Media werden häufig dafür kritisiert, dass sie zur Vereinsamung beitragen, was stimmen mag, wenn sie nur konsumiert werden. Um Kontakte zu knüpfen, andere Personen mit ähnlichen Interessen zu finden und so der Einsamkeit zu entkommen, lassen sie sich allerdings ebenso gut nutzen.

Was tun im Akutfall

Im Akutfall kann gegen Einsamkeit auch helfen, bei einem sozialen oder psychologischen Dienst anzurufen, und mit einer geschulten Person darüber zu sprechen, wie es einem geht:

– In der Schweiz gibt es den Service „Die Dargebotene Hand“, erreichbar unter 143.

– Für Deutschland wäre das z.B. die „Nummer gegen Kummer“ (116 111).

– In Österreich gibt es als Kooperation zwischen dem Roten Kreuz und dem Radiosender Ö3 die „Ö3 Kummernummer“, erreichbar unter 116 123.

Die häufigsten Ursachen von Einsamkeit

Es gibt gewisse Risikogruppen, die besonders gefährdet sind zu vereinsamen, dazu gehören arme Menschen, Migranten, Menschen mit Behinderungen sowie LGBTQI-Personen. Auch Erkrankungen wie soziale Angststörungen oder Depressionen können zu Einsamkeit führen.

Darüber hinaus sind die häufigsten Ursachen von Einsamkeit:

– Neuanfänge: Auch wenn ein Neuanfang wie eine Ausbildung, ein Studium oder allgemein ein Wohnortwechsel viel Potenzial für neue Kontakte und Erlebnisse birgt, kann es auch schwerfallen, alte Kontakt aufrechtzuerhalten oder schnell neu Anschluss zu finden.

– Single-Dasein: Gerade alleinlebende junge Menschen fühlen sich oft einsam. Stehen sie noch am Anfang ihrer Karriere, müssen sie oft so viel Zeit für ihren Job und ihre Karriereplanung aufwenden, dass ihnen gefühlt viel zu wenig Zeit für die Pflege ihrer Sozialkontakte bleibt.

– Kleinere Familien: Heutzutage leben immer weniger Menschen in Großfamilien oder Mehrgenerationenhaushalten, auch die Anzahl der Kinder pro Familie nimmt in den westlichen Industrieländern weiter ab. Das trägt auch zur Vereinsamung bei.

– Abweichen von gesellschaftlichen Normen: Gehört man einer marginalisierten Gruppe an oder weicht in seinem Verhalten von dem ab, was in weiten Teilen der Bevölkerung als Norm verstanden wird, fühlt man sich oft unverstanden und verspürt unter Umständen einen Anpassungsdruck.

– Erhöhte Bildschirmzeit: Das Konsumieren von Inhalten auf dem Smartphone, Laptop usw. verringert die Zeit, die für reale und direkte Kontakte zur Verfügung steht. Zugleich empfinden viele Menschen die Nutzung von Apps wie Instagram oder TikTok als Ersatzhandlung für Kommunikation und fühlen sich etwa durch Influencer direkt angesprochen – dabei handelt es sich aber um parasoziale Interaktionen, um nur scheinbar direkt an sie adressierte Botschaften, die sich an ein größeres Publikum wenden. Letztendlich bleiben sie als Konsumenten daher auch allein vor dem Bildschirm zurück.

All diese Faktoren treffen besonders auf junge Personen vom Teenageralter bis in die 20er zu, daher ist es nicht verwunderlich, dass gerade junge Menschen sich verstärkt einsam fühlen.

 

Führt Einsamkeit zu Depressionen?

Eine häufig gestellte Frage ist, ob Einsamkeit zu Depressionen führt oder umgekehrt Depressionen dazu führen, dass man einsam wird. Klar ist, dass Einsamkeit ein Risikofaktor für das Ausbrechen von Depressionen ist. Das hängt auch damit zusammen, dass Alleinlebende 1,5- bis 2,5-mal eher unter einer psychischen Erkrankung wie Depressionen oder Angst- und Zwangsstörungen leiden als Personen, die in ein enges soziales Umfeld eingebettet sind – das wies eine Beobachtungsstudie im Fachblatt „Plos One“ im Mai 2019 nach. Zugleich ist es aber auch möglich, dass der Rückzug und die Antriebslosigkeit, die mit Depressionen oft einhergehen, in der Folge zu Vereinsamung führen.

Weniger Interaktionen mit anderen Menschen führen bei Betroffenen dazu, dass sie sich einsamer fühlen und dadurch noch weniger Sozialkontakte suchen – ein Teufelskreis. Bei Depressionen und bei andauernder Einsamkeit haben Betroffene oft das Gefühl, sie seien es nicht wert, dass man Kontakt zu ihnen sucht und ihnen hilft. Begleitende Symptome wie Unruhe, Nervosität und Schlafstörungen treten auch bei Depressionen und bei Einsamkeit auf.

Die gute Nachricht ist allerdings, dass das Einsamkeitsgefühl in der Regel rasch abnimmt, wenn man neue Kontakte und sozialen Anschluss findet. Auch führt die Behandlung einer Depression –psychotherapeutisch und/oder medikamentös – dazu, dass die Einsamkeit spürbar schwindet.

 

(1) https://www.bbc.co.uk/programmes/articles/2yzhfv4DvqVp5nZyxBD8G23/who-feels-lonely-the-results-of-the-world-s-largest-loneliness-study

 

 

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