«Trend zur Spezialisierung wird sich verstärken»

Im Jahr 2030 sollen Depressionen und Stressfolgeerkrankungen zu den häufigsten Krankheiten zählen. Diese Prognose bestärkt das Paar Michaela und Marc Risch in ihrem Tun. Sie werden Ende dieses Jahres eine Klinik für Stressfolgeerkrankungen auf Gaflei eröffnen.

Das neue Jahr hat gestartet. Wie blicken Sie auf Ihr berufliches Jahr 2016 zurück?

Michaela Risch: Sehr positiv. Wir hatten ein intensives Jahr, indem wir nun erstmals unser Projekt der breiten Bevölkerung im Detail vorstellen konnten. Es war spannend zu sehen, welche Reaktionen das auslöst.

Was war Ihr persönliches Highlight des Jahres?

Michaela Risch: Der direkte Kontakt mit der Bevölkerung bei der Vorstellung unseres Projektes im Frühjahr war für uns ein wesentlicher Meilenstein, um zu sehen, ob und wie unsere Vision «ankommt». Der Spatenstich im Sommer war dann sicher ein besonderes Highlight, weil er den definitiven Start des Projektes symbolisierte.

In rund einem Jahr sollen bereits die ersten Patienten in der Klinik auf Gaflei behandelt werden. Was macht dieser Gedanke mit Ihnen?

Michaela Risch: Er löst Freude, Spannung, aber auch eine hohe Erwartungshaltung an uns selbst aus.

Wo entstand die Idee, eine eigene Klinik zu bauen?

Michaela Risch: Auf Gaflei. Bei einem unserer Spaziergänge vor knapp 20 Jahren standen wir auf dieser wunderbaren Wiese, wo nun die Klinik entsteht. Wir sehen tagtäglich den grossen Bedarf an Therapieplätzen für schwer depressive Menschen und das Thema treibt uns um. Wir haben zudem festgestellt, dass es eine ausgeprägte Unterversorgung im Bereich der Zusatzversicherten gibt. Die Klinikidee sprang uns dort oben also förmlich entgegen. Also haben wir uns gefragt: «Warum nicht hier eine eigene Klinik bauen?» Die Lage auf Gaflei ist prädestiniert mit ihrer Privatsphäre und der Nähe zur Natur.

War das von klein auf ein Traum von Ihnen?

Marc Risch: Ich wollte zunächst Rega-Pilot, dann Kinderarzt werden. Nach dem Studium machte ich dann noch eine Zwischenstation auf der Gerichtsmedizin. Für die Psychiatrie als solches habe ich mich schliesslich entschieden, weil ich mir mehr Zeit für die Lebens- und Krankengeschichten und somit für ein ganzheitliches Krankheits- bzw. Gesundheitsverständnis der Menschen nehmen wollte.

Michaela Risch: Mädchenträume gehören ins Traumland. Die Realität hat in den letzten zehn Jahren gezeigt, dass wir beide gerade mit unserem beruflichen Hintergrund wirklich etwas bewegen können.

Wie gross ist die Konkurrenz unter den regionalen Facheinrichtungen für Stressfolgeerkrankungen?

Michaela Risch: Es gibt einige psychiatrische Kliniken für die Grundversorgung, welche jedoch das gesamte Spektrum der Psychiatrie abdecken und nicht spezialisiert sind. Zudem spielt hier die Unterversorgung an Privatkliniken eine Rolle. Selbst dort gibt es 4 bis 7 Wochen Wartezeit in der Schweiz und bis zu 11 Monaten in Österreich und Deutschland.

Wo geht man heute hin?

Marc Risch: Wer mit psychischen Problemen zu tun hat, findet oft bereits Hilfe beim Hausarzt oder anderen Fachärzten. Stellen sich psychische und physische Faktoren komplexer dar und droht gar ein mehrwöchiger Krankenstand, ist spätestens dann der fachliche Beizug eines Psychiaters sinnvoll. Ein Klinikaufenthalt ist für höchst symptombelastete Klienten sinnvoll, die von Beginn an eine intensive Behandlung brauchen.

Neben Privatkliniken und der Klinik für Stressfolgeerkrankungen soll auch eine Krebsklinik ihren Standort in Liechtenstein haben. Was macht Liechtenstein und die Region so attraktiv für Kliniken?

Michaela Risch: Liechtenstein hat grosse Chancen, sich zu einem echten Gesundheitsstandort zu entwickeln. Bereits heute existiert eine leistungsstarke Gesundheitswirtschaft. Mit der optimalen Lage im Herzen Europas, den liberalen Rahmenbedingungen für Unternehmen und nicht zuletzt den kurzen Wegen bietet das Land optimale Bedingungen.

Weshalb werden Kliniken gebaut, die sich auf Krankheiten spezialisieren?

Michaela Risch: Die Wirtschaft spezialisiert sich generell immer mehr, so auch im Gesundheitswesen. Die Themen werden komplexer und es braucht zunehmend Expertenwissen. Wie in der Körpermedizin bereits üblich, beispielsweise Augenkliniken oder chirurgische Kliniken, sollte auch im psychiatrischen Sektor weiter spezialisiert werden.

Wird es in Zukunft mehr spezialisierte Kliniken geben?

Marc Risch: Es wird beides brauchen: Die Allgemeinmedizin und Grundversorgung für die Erstbeurteilung, Erstbehandlung und wenn es komplexer wird, für die Triage zu den Fachspezialisten, die bereits heute «überbucht» sind. Insofern wird sich der Trend zur Spezialisierung verstärken.

Spezialisierte Kliniken bedeuten spezialisierte Fachkräfte und damit höhere Gesundheitskosten.

Michaela Risch: Die Spezialisierung kommt aus unserer Sicht sowohl dem Patienten zugute als auch dem Staat, der hier fälschlicherweise höhere Kosten befürchtet. Es macht doch viel mehr Sinn, wenn sich erfahrene Spezialisten ganz gezielt einer spezifischen Thematik annehmen und damit auch schneller nachhaltige Lösungen finden können, als die Patienten von Pontius zu Pilatus zu schicken. Zudem haben WHO und Weltbank kürzlich in einer gross angelegten Studie gezeigt, dass jeder investierte Franken in die psychiatrische Versorgung direkte und in direkte Schadenskosten in der vierfachen Höhe der Investitionen verhindern kann.

Wo sehen Sie sich und Ihre Klinik in fünf Jahren?

Marc Risch: Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) werden Depressionen und Stressfolgeerkrankungen bis zum Jahr 2030 zu den häufigsten Krankheiten zählen. Wir agieren in einer Nische und können dort unser Experten-Know-How konsequent stärken. Das Clinicum Alpinum kann jährlich bis zu 250 Patientinnen und Patienten aufnehmen. Insofern hoffen wir, dass wir im Jahr 2021 mehreren Hundert Menschen zu einer Genesung und damit Wiedereingliederung in das Privat- und Berufsleben verhelfen konnten. Ebenso gehört es zu unserer Philosophie, einen wesentlichen Beitrag zur Entstigmatisierung der Krankheit zu leisten. Wenn also in fünf Jahren weit mehr Verständnis für diese Krankheit und für die davon Betroffenen vorhanden ist, ist auch dies für uns ein Erfolg.

Sie arbeiten täglich mit kranken Menschenzusammen. Hat man da nicht Angst, selbst zu erkranken?

Marc Risch: Im Gegenteil. Wir erleben in der Psychiatrie sehr viel mehr positive als negative Verläufe. Es ist schön zu erleben, dass wir Menschen, die sich in einer vermeintlichen Ausweglosigkeit befinden, wieder auf dem Weg ins Leben begleiten können. Das ist nicht zuletzt auch ein grosser volkswirtschaftlicher Faktor. Was aber stimmt ist, dass Personen, die in Gesundheitsberufen tätig sind, eine gleich hohe Wahrscheinlichkeit haben, an psychischen Erkrankungen zu leiden.

Was erfüllt Sie in ihrer Arbeit?

Marc Risch: Die Lebens- und Krankengeschichten sind sehr vielfältig. Das stärkt uns in der Überzeugung, die Spezialisierung und damit permanente Weiterentwicklung auf dem Gebiet der Depression und Stressfolgeerkrankungen voranzutreiben. Und es erfüllt uns, wie schon erwähnt, Menschen auf dem Weg zurück ins Leben begleiten zu können. Diese Arbeit macht schlichtweg Sinn.

Welche Anzeichen sind typisch für ein Burnout?

Marc Risch: Burnout ist keine medizinische Diagnose und verschleiert unserer Meinung nach die Schwere der Störung. Stressfolgeerkrankungen können dort entstehen, wo das Spannungsfeld zwischen den eigenen Bedürfnissen und den Anforderungen der unmittelbaren Umgebung nicht mehr ausgeglichen werden kann. Die Bandbreite für Stressfolgeerkrankungen reicht von einfachen, vorübergehenden vegetativen Symptomen (z. B. Magenbeschwerden) bis hin zu komplexen Erschöpfungsbildern. Körperlicher und emotionaler Stress können sich gegenseitig verstärken, woraus schwerste Krankheitsbilder wie plötzlich auftretende Angst- und oder Panikstörungen sowie mittelgradig-schwer depressive Zustände resultieren können.

Was kann man tun, um nicht Burnout gefährdet zu werden?

Marc Risch: Neben gesunder Ernährung, viel Licht und Bewegung ist es wichtig, seine eigenen Bedürfnisse zu erkennen und mit den äusseren Anforderungen in Einklang zubringen. Insbesondere im Arbeitsalltag und im Privatleben, wo oft Mehrfachbelastungen entstehen, sollte man sich von der falschen Konstruktion der Work-Life-Balance verabschieden und eher versuchen, den Arbeitsplatz aktiv mitzugestalten und eine aktive Erholung im Alltag zu setzen. Unser Ansatz in der Psychiatrie ist es, in erster Linie Hilfe zur Selbsthilfe im Sinne der aktiven Förderung der Introspektion zu leisten.

Im Bild: Michaela und Marc Risch
Text: Magdalena Hilbe, Bilder: Sven Beham

Interview als PDF
(Wirtschaft Regional Jahresmagazin 2017)

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