Sich und anderen Gutes tun und, wenn nicht anders möglich, fernmündlich mit Familie und Freunden in Kontakt bleiben – das rät Michaela Risch vom Clinicum Alpinum auf Gaflei im Interview für dieses Weihnachten
Bald ist Weihnachten. Wie waren die vergangenen Monate? Haben Sie als gestandene Tirolerin noch Puste?
Michaela Risch: Das ist eine gute Frage. Wenn ich es positiv formulieren soll, habe ich in den letzten Monaten viel lernen und damit für meine persönliche Entwicklung auch sehr profitieren dürfen. Ja, Puste ist noch da. Vor allem aber, weil ich jeden Tag sehe, wie mein privates und berufliches Umfeld mich unterstützt und dabei ja gleich wie ich in den letzten Monaten mehr
als normal gefordert wurde. Gemeinsam geht vieles leichter und man lernt, auf wen man sich verlassen kann. Ich habe das grosse Glück, eine Familie zu haben, die stabil hinter mir steht, und ein Team aus 65 Mitarbeitenden, auf die ich mich zu 100 Prozent verlassen kann. Ich wüsste nicht, wie wir die Zeit seit März ansonsten gemeistert hätten. Ihnen allen gebührt mehr als ein
Dank und ich hoffe, ich kann mich irgendwann bei jedem Einzelnen in angemessener Weise bedanken. Als positiv eingestellte Tirolerin, deren Glas, sprichwörtlich gemeint, schon vor Corona immer halb voll war, bringe ich vielleicht gute Voraussetzungen für das Meistern dieser Herausforderung mit.
Firmenweihnachtsfeiern, private Apéros, Weihnachtsmarktbummel, grosse Familienzusammenkünfte und vieles mehr fallen dieses Jahr weg – das kann Fluch sein …
Für unsere Mitarbeitenden tut es mir leid, dass wir dieses Jahr auf die Weihnachtsfeier verzichten müssen. Sie haben schon in der Zeit vor Corona Enormes geleistet und hätten es sich mehr als verdient. Jedoch darf man ja Pläne für 2021 und darüber hinaus machen und kreativ an Alternativen herumstudieren. Insofern gilt: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Wir werden das alles zu gegebener Zeit besser nachholen.
… oder auch Segen: Ruhe, keine hektischen Einkaufstouren, Bussi-Bussi-Anlässe, kein übermässiges Essen, Zeit zur Musse, zum Innehalten und vielleicht sogar einem Lebensreset.
Unsere Tochter Emma hat es gut auf den Punkt gebracht: «Mama, ein Gutes hat das ‹Coronadings›: Weil die ganzen Zusatzkurse und Trainings nicht mehr stattfinden, haben wir viel weniger Stress und sind auch viel mehr zusammen daheim.» Ich habe mittlerweile gelernt, das vermehrte Zusammensein zu geniessen. Ich versuche, mich so gut es geht auf das Wesentliche zu konzentrieren
und das Beste aus der aktuellen Situation zu machen. Man muss nicht immer Halligalli haben. Ich finde, es tut uns zwischendurch auch wieder einmal gut, auf das eine oder andere verzichten zu müssen. Man lernt Alltägliches wieder mehr wertzuschätzen.
Einsamkeit, mangelnde Sozialkontakte, fehlende Umarmungen. Dazu noch Dunkelheit, die kalte Jahreszeit – für viele ist das eine herausfordernde, angstmachende Situation.
Das Coronavirus rüttelt unseren Alltag mächtig durch – eine Herausforderung für die Gesellschaft und jeden Einzelnen von uns. Leiden unsere Patientinnen und Patienten unter einer depressiven Verstimmung, raten wir ihnen unter anderem, unter Leute zu gehen. Aktuell ist das nicht in der Form und in dem Ausmass möglich, wie es Sinn machen würde. Dadurch kann es sein, dass zum Beispiel depressive Symptome auftreten beziehungsweise sich verstärken. Wir raten, dennoch in anderer, angepasster Form in Kontakt zu bleiben. Zum Glück verfügen heute viele von uns über moderne Kommunikationsmittel, sodass wir in Echtzeit sogar mit Bild kommunizieren können. Das ersetzt zwar den physischen Kontakt nur zum Teil, dennoch ist das Hören einer Stimme schon besser als gar kein Kontakt. Können wir dann sogar mit Bild, zum Beispiel via Skype, kommunizieren, ist das im Moment sicher ein guter Kompromiss. Auch ich nutze zurzeit diese Mittel und verabrede mich via Skype/Zoom oder Teams zum Nachtessen in meinem Freundeskreis. Auch in der Behandlung von psychisch erkrankten Menschen setzen wir vermehrt auf eine digitale, «fernmündliche» Therapie, um damit vorübergehend zur emotionalen Stabilisierung beizutragen.
Was hilft jemandem, der schon vor Corona psychisch angeschlagen war, in finanziellen oder anderen Nöten steckt?
Ich bin hier nicht die Expertin, aber aus dem Bauch heraus würde ich sagen, Resonanz und Verlässlichkeit. Gerade in Zeiten wie diesen ist es wichtig, dass man Sozialkontakte pflegt, eben aber wie ausgeführt über zur Verfügung stehende Medien. Der generelle Rückzug oder gar die Flucht in vermeintlich tröstenden Alkohol oder Verhaltenssüchte ist ein oft gewählter, aber verhängnisvoller Weg. Umso wichtiger sind Initiativen, die gerade in solchen Schwierigkeiten weiterhelfen können.
Die Weihnachtstage lassen die einen Herzen höherschlagen, die anderen in negativen Grübeleien und Trübsinn versinken. Welches können vorbeugende Massnahmen sein, um das Gute zu sehen
und zu empfinden?
In der Advents- und Weihnachtszeit hat man glücklich zu sein – so jedenfalls verlangt es die Gesellschaft. Die Festtage waren aber schon vor Corona nicht für alle Menschen mit eingeschränkter
Freude verbunden. Das Fest der Liebe hinterlässt bei vielen Menschen auch Gefühle der Einsamkeit, Trauer, Enttäuschung und lässt die Erschöpfung besonders spürbar werden. Weihnachten hat
viele Gesichter – insbesondere für Menschen, die unter einer Depression leiden. Sie fühlen sich, verstärkt durch die Erwartung von aussen, noch schlechter. «Eigentlich müsste ich jetzt glücklich sein», denken Betroffene oft, sie «verstellen» sich. Gerade dieser Mechanismus kann in der Weihnachtszeit, aber auch in der Sommerferienzeit, besonders wirken und das Gefühl der Einsamkeit wird quälend. Gegen das Einsamkeitsgefühl kann es helfen, fernmündlich mit Angehörigen oder Freunden in diesen Tagen in Kontakt zu bleiben. Umgekehrt heisst dies natürlich auch
für uns alle, dass wir aufgefordert sind hinzuschauen, wer in unserem direkten Umfeld vielleicht besonders still leidet. Zudem ist ebenso wichtig, sich selbst Gutes und dem etwas zu kurz gekommenen Teil der eigenen Seele Gutes zu tun. Gerade auch, wenn unser Bewegungsradius und die physischen sozialen Kontakte derzeit eingeschränkt sind, können und sollen wir uns belohnen, können uns zum Beispiel mit einem feinen Essen, einem schönen Film, einem guten Buch oder mit unserer Lieblingsmusik «beschenken».
Wie wichtig sind in diesen Tagen Rituale?
Ungewohnte Situationen erfordern besonders stark gewohnte Abläufe, an denen wir uns orientieren können. Eine klare Tagesstruktur – dazu gehören auch Rituale – ist derzeit enorm wichtig. Das gilt beruflich und privat. Gewohntes hilft uns, Chaos zu ordnen und mit Unvorhergesehenem besser umgehen zu können. Gewohntes gibt Sicherheit, und die ist wichtig. Rituale geben Struktur
und Halt und helfen uns unter anderem, gesund zu bleiben.
Wie wird’s an Weihnachten auf Gaflei?
Ich vermute ruhig. Unsere Mitarbeitende geben ihr Bestes, um es unseren Gästen so feierlich und angenehm wie möglich zu machen. Wir werden es so machen wie im letzten Jahr: gemeinsam den Tisch decken, gemeinsam zu Abend essen und einfach das Zusammensein und möglichst viel Normalität entstehen lassen. Unsere Patientinnen und Patienten sind nicht allein durch Corona in einer besonderen Situation. Weihnachten und Neujahr in einer Klinik zu verbringen, hat an und für sich schon etwas «Besonderes».
Und bei Ihnen zu Hause?
Für uns wird es dieses Jahr eine Premiere. Wir feiern das erste Mal gemeinsam Weihnachten in Malbun und nicht in Tirol oder auf Gaflei. Ich hoffe, meine Mutter und mein grosser Bruder können trotz der aktuellen Situation kommen, um gemeinsam den Heiligen Abend mit uns zu verbringen. Wir werden uns deshalb alle entsprechend vorbereiten und unsere Sozialkontakte weitestgehend
einschränken. Für mich war Weihnachten schon immer ein Fest, dass ich gerne in Gemeinschaft verbracht habe. Deshalb wäre es für mich ein trauriger Gedanke, wenn ich wüsste, dass meine Lieben allein zu Hause sind.
Interview: Gabi Eberle
LIEWO, 20.12.2020 Interview als PDF
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