Viele von uns fühlen sich einmalig oder mehrfach in ihrem Leben einsam, ungeliebt, alleingelassen oder vom Leben ausgeschlossen. Eine Untersuchung des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums aus dem Jahr 2012 kam zum Ergebnis, dass sich in der Schweiz rund ein Drittel aller Menschen manchmal einsam fühlen. Knapp 5% leiden sogar häufig oder sehr häufig unter ihren Einsamkeitsgefühlen. Auch wenn sich Einsamkeit äusserst schmerzhaft anfühlt und schwerwiegende Konsequenzen nach sich ziehen kann, so stellt die Einsamkeit für uns Menschen ein äusserst wichtiges Signal dar. Sie warnt uns, wenn wir den Kontakt zu anderen Menschen verlieren und fordert uns auf, aktiv zu werden.
Was ist Einsamkeit überhaupt?
Oft wird Einsamkeit mit Alleinsein verwechselt. Viele Menschen glauben, dass man sich einsam fühlt, sobald man alleine ist. Alleinsein führt jedoch nicht zwingend zum Gefühl der Einsamkeit. Während Einsamkeit ein Gefühl ist, welches der Mensch nicht freiwillig wählt, kann das Alleinsein eine bewusste Entscheidung sein und auf Freiwilligkeit basieren. Es gibt jedoch auch die konkrete Angst vor dem Alleinsein, die Autophobie genannt wird. Einsamkeit bedeutet soziale Isolation, welche von der eigenen Person ausgeht. Nicht die An- oder Abwesenheit von anderen Menschen, sondern die subjektiv wahrgenommene fehlende Beachtung und Wertschätzung durch andere Menschen bestimmt die Einsamkeit. Auch in Anwesenheit anderer Menschen können somit Einsamkeitsgefühle auftreten. Einsamkeit ist oft das Resultat von der eigenen Unzufriedenheit mit sich selbst und/oder bestehenden Beziehungen. Einsamkeit kann in jedem Alter und in jeder Lebenssituation auftauchen – also auch junge Menschen häufig betreffen. Sie kann einfach nur so bestehen oder als mögliches Symptom einer psychischen Krankheit wie beispielsweise Depressionen angesehen werden.
Einsamkeit ist also weder eine Krankheit noch eine Diagnose, sondern lediglich das Gefühl, nicht dazuzugehören. Bis heute gibt es keinen statistischen Wert, ab dem jemand einsam ist.
Wie entsteht Einsamkeit?
Es gibt nicht die eine Ursache, warum sich ein Mensch einsam fühlt. Es scheint verschiedene Faktoren zu geben, welche Einsamkeit in unserem Leben begünstigen.
Frühwarnzeichen – Woran erkenne ich, dass mich meine Einsamkeit krank macht?
Dem Gefühl der Einsamkeit gehen häufig die folgenden Gedanken voraus: «Ich bin mit anderen nicht verbunden», «ich bin anders als die anderen» oder «ich habe kein Zuhause». Auf der emotionalen Ebene zeigen sich Gefühle von Ablehnung, Ausgrenzung, Unverständnis, Enttäuschung, Verletzung aber auch Angst, nicht gebraucht zu werden oder wertlos zu sein. Die begleitenden Körperreaktionen bei Einsamkeit werden von vielen Betroffenen als unspezifisch, verkrampfend oder verzerrt wahrgenommen. Häufig sind körperliche Symptome wie Anspannung, Nervosität, Unsicherheit, Unruhe, Herzrasen, Beklemmung, Schwindel oder Schlafstörungen (Depression und Schlafstörungen). Nicht nur die Körperwahrnehmung, sondern auch die Wahrnehmung in Bezug auf andere scheint häufig verzerrt zu sein. Beziehungsangebote werden übersehen und andere werden oft als fröhliche und zusammengeschweisste Gruppe wahrgenommen, auch wenn dies nicht der Fall ist.
Sobald man bemerkt, dass man versucht alles Mögliche dagegen zu tun, um Gefühle der Einsamkeit zu vermeiden, sollten die Alarmglocken läuten. Ein Beispiel dafür ist das Knüpfen von oberflächlichen Beziehungen oder Freundschaften im Netz. Solch typische Verhaltensweisen, mit denen man sich selbst nicht eingesteht einsam zu sein, sind jedoch kontraproduktiv. Man teilt sich damit auch seinem Partner, engen Freunden oder Familienmitgliedern nicht mit, so dass diese auch nicht entsprechend reagieren können. Dies wiederum führt beim Betroffenen zu der Annahme, dass niemand zu spüren scheint, wie schlecht es einem wirklich geht. Man fühlt sich dadurch im Stich gelassen, versinkt in Selbstmitleid und Selbstabwertung. Folgegefühle, welche dadurch entstehen können, sind Trauer, Scham, Selbsthass oder sogar Suizidalität.
Welche Auswirkungen hat Einsamkeit?
Für uns Menschen ist Einsamkeit sowohl eine bedrohliche als auch eine belastende Erfahrung und sie kann genauso schmerzhaft sein wie eine körperliche Erkrankung. Einsamkeit wirkt sich extrem negativ auf die Lebensqualität aus und bringt oft gesundheitliche Folgen mit sich. Das Gefühl der Einsamkeit führt – wenn wir uns ihr ausgeliefert fühlen – auf der körperlichen Ebene zu Stress und stellt deshalb ein wesentlicher Risikofaktor für körperliche (z. B. Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Schlaganfall) und psychische Erkrankungen (bspw. Depressionen, Angststörungen, Schlafstörungen) dar. Schockierender Weise konnten Studien sogar belegen, dass einsame Menschen im Vergleich zu nicht einsamen Menschen früher sterben.
Was war zuerst da: die Einsamkeit oder die Depression?
Depressionen sind unter anderem dadurch gekennzeichnet, dass sie die Kontaktmöglichkeiten mit anderen Menschen einschränken und deshalb Einsamkeitsgefühle begünstigen können. Die aktuelle Forschung zeigt jedoch, dass psychische Erkrankungen wie Depressionen nicht nur die Ursache, sondern auch die Folge von Einsamkeit sein können. Weil sich Depression und Einsamkeit gegenseitig beeinflussen können, entsteht ein Teufelskreis, aus welchem die Betroffenen nicht mehr alleine herausfinden und fachliche Unterstützung benötigen, um die Wechselwirkung beenden zu können
Unabhängig davon, ob die Einsamkeit die Depression ausgelöst hat oder umgekehrt: der Leidensdruck ist hoch, sowohl bei einer Depression als auch bei Einsamkeit. Aufgrund der Wechselwirkung von Einsamkeit und Depression ist es uns ein zentrales Anliegen das Thema Einsamkeit auch als wichtiger Faktor in unserer Behandlung der Depression zu berücksichtigen. Wir betrachten Einsamkeit sowohl als Ursache als auch als eines von vielen möglichen Symptomen der Depression.
Zum Autor
Fabian Müller, studierte Psychologie in Zürich und schloss sein Studium mit einem Master in klinischer Psychologie ab. Aktuell absolviert der Psychologe die Weiterbildung «Psychotherapie mit kognitiv-behavioralem und interpersonalem Schwerpunkt» am Klaus-Grawe-Institut in Zürich. Während dem Studium arbeitete er im Schlaflabor Fluntern in Zürich. Nach seinem Abschluss arbeitete er in der Klinik St. Pirminsberg in Pfäfers und war dort als Stationspsychologe auf der Entwöhnungsstation und Praktikumskoordinator im Bereich Psychologie tätig. Seit März 2019 arbeitet der Psychologe bei uns im Clinicum Alpinum.
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