Michaela und Marc Risch erklären ihren Zugang zum Glück und was sie beruflich und privat glücklich macht.
Frau und Herr Risch, Sie haben beide beruflich mit Emotionen und Gefühlen anderer zu tun. Gibt es aus Ihrer Sicht den Begriff Glück, lässt er sich fassen?
Michaela Risch: Ja, ich denke, es gibt Glück – genauso wie auch das Gegenteil, Unglück. Es gibt viele Situationen, in denen man nicht nur sagt, «da habe ich Glück gehabt», sondern wo das auch tatsächlich zutrifft.
Marc Risch: Für mich ist Glück etwas das passiert, etwas das man nicht planen kann. Glück ist etwas Momenthaftes. In den Sozialwissenschaften gibt es die Glücksforschung. Ich finde es aber wichtig, sich nicht zu stark am Begriff oder der Wissenschaft, sondern am Selbst zu orientieren. Glück ist ein Begriff, der emotional und subjektiv besetzt werden sollte, und jeder hat da wahrscheinlich einen anderen Zugang aufgrund seiner Erfahrungswelten.
In welcher Form haben Sie bei Ihrer Arbeit mit Glück zu tun?
Marc Risch: In der Behandlung spielt das momenthafte Glück eine wesentliche Rolle. Momente des Glücks sind Momente der Heilung. Diese und die Momente des Unglücks sind Wegweiser oder «red flags» entlang des Lebensweges, auf die man schliesslich zurückblickt und die Orientierung geben. Glück spielt im Leben eines jeden eine entscheidende Rolle und hat einen grossen individuellen Aspekt. Da wir resonante Wesen sind, hat Glück auch einen interpersonellen Aspekt. Glück entsteht im Zusammenhang mit etwas Lebendigem – Glück an etwas Materiellem festzumachen, ist für mich eher als «Freude an etwas», nicht aber als Glück zu verstehen.
Wie wichtig ist es, dass jemand Glück im Leben empfindet?
Marc Risch: In unserem Fach sind wir sehr viel technischer – wir reden nicht so oft von Glück. Für uns ist wichtig, dass Menschen in die Lage versetzt werden, emotional schwingungsfähig oder auslenkbar zu sein – das sind Voraussetzungen für Emotions- und Glückserleben. Bei uns im Betrieb achten wir darauf, besonders Michaela, dass wir unseren Patienten neben der therapeutischen Auseinandersetzung auch viel Normalität bieten können. In dieser Normalität, im direkten Kontakt, wenn jemand aufmerksam, vorbehaltlos, ehrlich ist und lächelt, da entstehen kleine Glücksmomente im Sinne von «wahrgenommen werden».
Michaela Risch: Wir haben teilweise mit Menschen zu tun, die sich vom Glück verlassen fühlen. In solchen Fällen versuchen wir mit Kleinigkeiten dieses Gefühl zurückzugeben. Wir merken, dass man mit relativ wenig Aufwand anderen einen guten Moment schenken kann – man muss sich einfach Zeit für sie nehmen, zuhören, verstehen. Die Frage nach der Lieblingsspeise zum Beispiel ist oft wesentlicher als ein opulentes 5-Gang-Menü.
Marc Risch: Bei Glück geht es oft um die Reduktion auf die Kleinigkeiten. Kinder sind vorbehaltlos glücklich und auch vorbehaltlos ärgerlich bis zornig. Und wir versuchen bei uns, diese kleinen Glücksmomente zu erzeugen und diese als Kontrapunkt für das als gross wahrgenommene Unglück zu setzen.
Michaela Risch: Dabei sieht jeder, dass man diese Kleinigkeiten auch selbst schaffen kann.
Ist jeder seines eigenen Glückes Schmied oder ist es Einstellungssache?
Michaela Risch: So einfach kann man das selbstverständlich nicht sagen. In manchen Fällen kann das sicher zutreffen. In anderen befindet sich jemand in einer Abwärtsspirale, wo das nicht möglich ist.
Marc Risch: In den Reduktionen solcher Aussprüche steckt sicherlich ein gewisses Mass an Wahrheit. Problematisch ist der Subtitel dabei, denn der Umkehrschluss kann nicht immer gezogen werden. Psychisch erkrankte Personen können sich nicht einfach sagen «ich bin jetzt wieder glücklich» – einen Glücksknopf gibt es nicht. Für jemanden, der in einem Krisengebiet lebt, ist Schutz, Wärme und Nahrung Glück. Glück hat immer Referenzpunkte im Erlebten und durchaus auch im Unglück. Erst wenn man diese kennt, ist man in der Lage, zu verstehen, wie eine Person Glück empfindet.
Ist Glück haben und glücklich sein dasselbe?
Michaela Risch: : Für mich nicht, nein. Glück haben sind einzelne Momente – glücklich sein ist etwas Grösseres, Ganzes. Dabei spielt die Zufriedenheit meiner Ansicht nach eine wichtige Rolle. Glücklich sein ist für mich ein Teil meiner Lebenseinstellung. Ich kann mit wenig zufrieden sein und bin zufrieden mit dem, was ich habe. Glück haben hat für mich auch einen negativen Beigeschmack. Es impliziert, dass man nichts dazu beitragen muss, dass es eintrifft. Glücklich sein fällt einem hingegen nicht in den Schoss, da muss man selbst etwas beitragen. Glücklich sein ist für mich eine Lebenseinstellung, eine Haltung.
Marc Risch: Glück haben im Sinne von Glück besitzen gibt es nicht. Auf der anderen Seite kann man aber Glück «verteilen» oder «transportieren». Und zwar in dem man anderen etwas Gutes tut, ohne dafür eine Gegenleistung zu erwarten. Bei einem Experiment wurden Menschen beobachtet, die in einer Telefonzelle telefonieren – bei einigen wurde im Vorfeld eine Münze im Telefonmünzfach deponiert, bei anderen nicht. Menschen, die eine Münze gefunden hatten – auch wenn es nur ein minimaler Betrag war – waren eher bereit, einem vor der Telefonzelle gestürzten Mann wieder auf die Beine zu helfen, als solche, die keine gefunden hatten. Wer einem anderen vorbehaltlos eine Freude macht, kann dessen Stimmung positiv beeinflussen und etwas zu seinem Glücklichsein beitragen.
Sind Sie beide glücklich?
Marc Risch: Die Frage habe ich natürlich in diesem Interview erwartet. Ich beantworte die Frage mal so: Ich bin selten glücklich, aber mein Ziel ist das Glücklichsein. Ich will glücklich auf Erfahrungen zurückblicken, auf Erlebnisse und natürlich auch auf Momente mit meiner Frau und meinen Kindern.
Michaela Risch: Ich bin da anders (lacht). Ich bin per se eigentlich immer glücklich. Ich habe die Liebe meines Lebens an meiner Seite, wir haben zwei wundervolle Kinder, wir konnten mit dem Clinicum einen Traum verwirklichen und haben beide einen Beruf, der uns Spass macht – ich bin mehr als zufrieden und auch glücklich. Ich habe nur ganz wenige Tage, an denen ich nicht glücklich bin. Und an diesen nehme ich mir den Luxus, auch zu Hause zu bleiben. Denn was bringt es, wenn ich meine schlechte Laune an anderen auslasse und ihnen den Tag versaue.
Wie sind Sie mit Ihren Rückschlägen umgegangen?
Marc Risch: Der Lebensweg von uns beiden war alles andere als gerade, beruflich wie privat. Wir haben beide lange studiert und mussten einen Studienwechsel machen. Wir sind auf die Schnauze gefallen und hatten glücklicherweise ein Umfeld, das uns wieder aufgeholfen hat. Scheitern war erlaubt, schliesslich lernt man auch aus seinen Fehlern. Dass wir heute eine Familie sind, fusst darauf, dass ich im Studium schwer gescheitert bin. Und dass wir heute unseren Betrieb führen, hängt auch stark damit zusammen, dass Michaela die Entscheidung getroffen hat, von der Medizin in die Wirtschaft zu wechseln.
Michaela Risch: Wir hören oft: «Bei euch läuft ja immer alles bestens, ihr habt immer Glück.» Was man aber dabei verkennt ist, dass dahinter natürlich auch Scheitern steckt – und ausserdem viel Arbeit und Zeit. Nicht alles, was man von aussen als Glück wahrnimmt, ist solches. Oft ist es das Resultat von viel Einsatz, aber auch Mut und Anstrengung.
Marc Risch: …und Leidenschaft. Es geht auch darum, Unlust auszuhalten, zu scheitern und wieder aufzustehen. Unser eigentliches Glück sehen viele gar nicht. Es ist nicht das Haus oder das Auto, sondern die Momente, die wir gemeinsam erleben.
Analog zum Sprichwort «Wenn sich eine Türe schliesst, öffnet sich eine andere» – kann ein Rückschlag auch eine neue Chance bedeuten?
Marc Risch: Kann, ja, aber muss natürlich nicht. Wo Licht ist, ist auch Schatten – stimmt. Aber das sind plakative Aussagen. Jeder erlebt Rückschläge, die sich zum Positiven wenden können. Aber leider gibt es auch Schicksalsschläge, die überwindet man nicht.
Michaela Risch: Es wäre sehr überspitzt zu sagen, dass ein Rückschlag ein Auslöser für Glück wäre. Aber ich glaube, es gibt Formen des Scheiterns, an denen man wächst und reifer wird. Besonders wenn man gewillt ist, Hilfe anzunehmen. Ein Problem unserer Zeit sehe ich darin, dass Scheitern und auch das Hilfe-in-Anspruch-nehmen heute kaum mehr erlaubt ist. Es wird als Schwäche angesehen. Ich finde, das ist eine Stärke. Über den eigenen Schatten zu springen und nach Hilfe zu fragen, das braucht viel mehr innere Kraft. Rückschläge prägen auf jeden Fall. Einige machen einen stärker, andere aber können einen ganz brechen. Wenn ein lieber Mensch durch ein Unglück plötzlich aus dem Kreis der Familie gerissen wird oder wenn Kinder vor ihren Eltern ihr irdisches Dasein verlassen müssen, kann aus der Situation nichts Positives gezogen werden. Man kann nicht alles schönreden.
Marc Risch: Und das ist auch nicht unser Geschäft – es geht vielfach ums Aushalten und Dasein und um ein stilles Begleiten. Und darum, jemandem durch eine Zeit zu helfen, bis es wieder besser geht. In jedem Verlust etwas Positives sehen zu wollen, ist nicht möglich.
Sie haben während Ihres Studiums Not hautnah miterlebt. Hat Sie diese Erfahrung geprägt?
Marc Risch: Wir konnten kurz nach dem Ende der kriegerischen Handlungen im Kosovo-Konflikt bei einer grossen Hilfsorganisation vor Ort helfen und einen Beitrag leisten, später waren wir als Ausbildner beim Österreichischen Roten Kreuz im Bereich der psychologischen Ersten Hilfe und Krisenintervention tätig. Da haben wir mit Menschen gearbeitet, die alles verloren haben – wirklich alles. Wir haben gelernt, in welchen Situationen wir aktiv helfen konnten und wann es besser war, beiseite zu treten, da zu sein und wie erwähnt auszuhalten. Wir haben gesehen, dass sich auch in schier ausweglosen Situationen soziale Netzwerke und Strukturen bilden können und sich die Menschen gegenseitig unterstützen – da braucht es keine Therapie, sondern menschliche Nähe. So leisten wir damals wie heute Hilfe zur Selbsthilfe. Nicht wir machen die Patienten gesund, sie sind es selbst. Jeder Mensch hat genug Kraft und vermag sich selbst zu helfen. Bei einigen Schritten kann ihnen aber eine Begleitung helfen und diese wollen wir bieten.
Wie streuen Sie Glück und glückliche Momente im eigenen Leben?
Michaela Risch: Das kommt auf die Ebene an. Auf beruflicher Ebene schaffen wir uns glückliche Momente, indem wir Freude weitergeben. Wenn wir etwas mit unseren Patienten unternehmen. Auf der Familienebene verbringen wir Zeit mit unseren Kindern und ich bin glücklich, wenn sie Spass haben. Für uns zwei als Paar sind es beispielsweise die Momente, wenn wir zusammen in Malbun vor unserer Hütte sitzen, mit einem Glas Wein und den Sonnenuntergang betrachten. Das sind für mich die Glücksmomente.
Marc Risch: Das ist eine schwierige Frage, weil sie impliziert, dass man Glück antizipieren könnte. Aber soweit, wie es einem selbst möglich ist, sind es genau die Dinge, die Michaela gesagt hat. Wenn es den Menschen gut geht, die einem wichtig sind, löst das innere Zufriedenheit und eine Ruhe aus. Das macht mich glücklich.
Interview: Andreas Laternser
Vaterland Magazin 13.08.2019 Momente des Glücks sind Momente der Heilung
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