„Depression ist keine Gesichtskrankheit!“

Senioren-Kolleg. Der Psychiater Dr. Marc Risch, Chefarzt des Clinicum Alpinum, sprach über das Spektrum psychischer Erkrankungen und deren Ursachen. Ziel der Behandlung der psychischen Erkrankungen sei die Hilfe zur Selbsthilfe.

«Wie geht es dir? Du siehst so gut aus!» – «Ich kann so Komplimente nicht mehr hören!» habe ein Patient geklagt. Aber wie und wem kann man denn zeigen, was im Innern vorgeht? Nach wie vor sind psychische Krankheiten schambehaftet. «Eine Depression ist keine Gesichtskrankheit!», so die lakonische Feststellung des Psychiaters Marc Risch. Das Spektrum psychischer Erkrankungen ist sehr breit. Das Clinicum Alpinum hat sich auf die Behandlung schwerer Depressionen und Erschöpfungszustände spezialisiert. Jeder Mensch habe ein 25-prozentiges Risiko, einmal im Leben an einer behandlungsbedüftigen psychischen Erkrankung zu leiden. Vor der Pandemie sei dieser Prozentanteil etwas tiefer gewesen, so Risch. Dabei sei erfreulich, dass über zwei Drittel der Betroffenen nachhaltig gesunden könnten.

Pandemie hinterlässt Spuren
Es gehe heute um das seelische Gesundbleiben in einer verrückten Zeit, wobei nicht allein die Pandemie für belastende und schädigende Einflussfaktoren verantwortlich gemacht werden könne, wenngleich die vergangenen zwei Jahre insbesondere bei jüngeren Jahrgängen noch Spuren hinterlassen würden. Und die Digitalisierung führte seit der Verbreitung des Internets in den Neunzigerjahren zu einschneidenden Veränderungen im Kommunikationsverhalten, zu vermehrtem Zeitdruck, zu Dauerpräsenz in Chat-Gruppen, zur Vervielfachung von Nonsens-Informationen, zu Oberflächlichkeit. Insbesondere Menschen mit Tiefsinn kämen mit dieser Entwicklung schwer zurecht, führte der Referent aus. Einerseits bestünden der Wunsch oder die Aufgabe, sich in die Gesellschaft zu integrieren, andererseits fehle es an der inneren Motivation und der erforderlichen Energie. Corona sei für manche eine diffuse Bedrohung, ein Gegner, den man nicht nach angestammtem Stressmuster (Kampf oder Flucht) begegnen könne. Das psychische Leid habe sich in den Affektdimensionen verzehnfacht. Stressbedingte Syndrome wie Magenbeschwerden, Schlafstörungen oder Schwindel bis hin zu komplexen Affekt-Erkrankungen wie Angst, Panik, Zwang und Depression seien die Folge. Nach Meinung des Psychiaters gehören weder Zügel-Burn-out noch Liebeskummer zu den ernsthaften Erkrankungen. Anders sei das bei der Depression. Eine nicht behandelte Depression erhöhe das Risiko, im Alter dement zu werden.

Körperliche und geistige Bewegung als Antideprissivum
Depressive Menschen seien tiefsinnige Menschen. Eine gute Therapie dürfe diesen Tiefsinn nicht zerstören, sondern müsse die Tiefgründigkeit als Wert erhalten und in einen  neuen Zusammenhang stellen. Hierfür gebe es keine chemischen Mittel. Als wirkungsvollstes Antidepressivum nannte der Psychiater die körperliche und geistige Bewegung. Der Filmbeitrag über das Clinicum Alpinum zeigte nebst der Bewegung in der freien Natur schöpferisches Arbeiten oder auch gegenseitigen Austausch in Gesprächsrunden. Unter Gesundheit verstehe man körperliches, psychisches und soziales Wohlbefinden. Risch unterstrich im Bio-psycho-sozialen Modell vor allem die Bedeutung der sozialen Dimension, die in den vergangenen zwei Jahren enorm zu kurz gekommen sei. Es fehlten während der Pandemie die Gemeinschaftserlebnisse, die persönliche Begegnung, der Blickkontakt. In der traditionellen Medizin werde die soziale Dimension zumeist nebensächlich behandelt oder gar nicht beachtet. Interaktion, Resonanz und das Gefühl im anderen vorbehaltlos wahr- und angenommen zu werden, seien jedoch wichtige Wirkfaktoren einer erfolgreichen und nachhaltigen Therapie. «Die Arbeit mit depressiven Menschen ist auch immer eine Arbeit mit dem Tiefsinnigen», sagte der Psychiater. (hs)

Artikel erschienen im Volksblatt, 04.02.2022
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