Als Kuhflüsterer ist Martin Ott bekannt, seit er sein Wissen über die Kühe und seine Erfahrungen mit ihnen im Buch «Kühe verstehen» beschrieben hat. Anlässlich unseres Hochalpinen Symposiums dürfen wir Martin Ott, Buchautor, Landwirt und Musiker kennenlernen.
Seine Berufskarriere hat Martin Ott als Lehrer begonnen und ist inzwischen Schuldirektor einer kleinen familiären und persönlichen Landwirtschaftsschule für biodynamische Bildung. In seinem Vortrag spricht Martin Ott nicht nur darüber was uns die Natur lehrt, welche Naturgesetze wir verkennen und welche Gleichgewichte von allgemeiner Gültigkeit sind, sondern auch was eine moderne Gesellschaft braucht, um sich nicht selber zu schädigen.
Mit Martin Ott sprach Marc Risch.
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Lieber Martin, vielen Dank für Deine Bereitschaft, im Zusammenhang mit dem bevorstehenden «Hochalpinen Symposium Gaflei» am 30.08.2019 für persönliche und tiefsinnige Fragen, auch aus der Welt der Landwirtschaft, zur Verfügung zu stehen. Ich danke Dir, dass wir das Interview, im alpinen «Du» abhalten können. Wir freuen uns auf dein Referat.
Martin, du stammst aus einer Ärztefamilie. Was sind deine Erfahrungen mit gesund sein und krank sein?
Was ich in meiner Familie lernte, ist quasi ein unstillbares Interesse am Menschen und ein tiefes Bedürfnis, jeden Menschen ernst zu nehmen sowie seine Schwächen und Krankheiten grundsätzlich als Herausforderung zu betrachten. Mein Vater zum Beispiel war tief überzeugt, dass jede Krankheit auch eine individuelle Chance und Möglichkeiten eröffnet.
Kannst du uns etwas über deinen Werdegang erzählen?
Ich wurde schon sehr früh, mit 20 Jahren Vater. Auf die erste Tochter folgte bald eine zweite und so konnte ich nicht Medizin studieren und wurde Lehrer. Die Ausbildung ging schneller und ich wollte meine Familie selbst ernähren können. Ich war sehr gerne als Lehrer tätig, doch irgendwie fehlte mir die Berechtigung den fragenden Kinderaugen die Welt zu erklären, selbst war ich ja auch noch so jung. So begann ich Landwirt zu werden und gründete mit meiner zweiten Frau einen sozialtherapeutischen Hof. Wir nahmen einige schwierige Jugendliche bei uns auf. Darin waren wir so erfolgreich, dass uns nach 15 Jahren die Zürcher Regierung bat, auf dem grössten und schönsten Landwirtschaftsbetrieb des Kantons eine solche Initiative zu starten. Dies gelang uns dann auch ziemlich gut. Nach 20 Jahren Aufbauarbeit bin ich in meinen alten Beruf zurückgekehrt und baute in Rheinau eine Landwirtschaftliche Schule auf.
Du führst eine grosse Landwirtschaftsschule. Woher kommt die Motivation, einen solchen Betrieb zu leiten?
Es ist eine sehr spannende Aufgabe, jungen motivierten Lernenden eine moderne Demeter Landwirtschaft zu erlernen. Grundlage dieser Landwirtschaft ist die Ganzheitlichkeit und der Friede zwischen Mensch und Natur. Die Krise der Ökologie ist in ihrem Inneren, meiner Meinung nach, eine Krise der Beziehung. Beziehungen sind Partnerschaften auf Augenhöhe. Partnerschaften sind also nur möglich, wenn ich mein Gegenüber, ein Tier, eine Pflanze, einen Menschen auch wirklich in seiner umfassenden Wesensart wahrnehmen kann. Das versuchen wir auf vielfältige Art zu üben und zu erlernen.
Hast du einen Lieblingsort in der Natur? Einen besonderen Kraftort?
Ich fühle mich dort zu Hause und gestärkt, wo sich Menschen gemeinsam auf den Weg machen, über ihren eigenen Egoismus hinaus Interesse an der Welt zu entwickeln, wobei das gemeinsame Suchen anstelle des Findens im Vordergrund steht. Da entsteht für mich ein Kraftort. Ich habe mein Leben lang in Gemeinschaften gelebt. Ich betrachte die richtige Zusammenarbeit zwischen Menschen als höchste Kunst.
Was können wir als Mensch aber auch als Gesellschaft von Säugetieren, insbesondere von Kühen lernen?
Wir alle haben in unserer Geschichte viel von den Kühen gelernt. Dank der Rinder konnten wir das Projekt Sesshaftigkeit erst erfolgreich gestalten. Jetzt sind wir jedoch dabei, diese Partner bis zur Unkenntlichkeit auszubeuten. Der Mensch fühlt sich frei, dies aus wirtschaftlicher Notwendigkeit zu tun. Aber wir werden bald einsehen, dass dies auch für uns selbst Unglück und Elend bringen wird. Die Tiere warten in ihren dunklen, grauenhaften Ställen darauf, dass wir dies begreifen und ändern. Dies ist die Lektion, die wir zu lernen haben.
Zurzeit ist es sehr chic „nachhaltig“ zu sein. Fast exponentiell wird der Begriff „Nachhaltigkeit“ gebraucht. Um was geht es aber deiner Meinung nach wirklich beim Thema Nachhaltigkeit?
Nachhaltigkeit ist die Fähigkeit, von der Zukunft in die Gegenwart zu schauen und entsprechend zu handeln. Wie ein Förster, der durch den Wald geht und in sich das Bild des Waldes trägt, wie er dann in fünfzig oder hundert Jahren da steht. So lässt er Bäume stehen, die Zukunft haben. Wir sind gerade dabei, dies zu lernen oder unterzugehen. Wir handeln meist noch aus der Vergangenheit, vielleicht weil wir die Zukunft gar nicht denken können, vielleicht sind wir auch zu wenig mutig dafür.
Wir erleben dich als sehr wach und nachdenklich. Mit welchen Entwicklungen in der Gesellschaft haderst du zurzeit? Wie schaust du in die Zukunft?
Ich finde, wir leben gerade in der schönsten Zeit, die es je gegeben hat. Weil vieles so schief läuft, war es noch nie so einfach etwas besser zu machen. Dafür bin ich dankbar.
Was muss sich in unserer Gesellschaft ändern, damit wir wieder in ein gesundes Gleichgewicht zurückfinden?
Wir sollten uns selbst, der Natur und den Menschen zuhören. Wir müssen unsere Empathie steigern und begreifen, dass die bewusste Achtsamkeit, die Zuwendung und die Liebe, die einzige Energie auf unserem Planeten ist, welche sich beim Schenken vermehrt und nicht verbraucht.
Vielen Dank für deine Ausführungen, Martin. Wir freuen uns, dich am 30.08.2019 auf Gaflei begrüssen zu dürfen und wir sind zuversichtlich, dass wir dir am Symposium, noch die eine oder andere spannend Antwort entlocken kann.
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